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AutorenbildCaspar Reimer

Zwischen Coronaturbos und Cornaleugnern

Aktualisiert: 29. Juli 2021

Ich bin weder ein Impfgegner, noch ein Impfbefürworter, weder Coronaleugner, noch Coronaturbo. Ich habe mich impfen lassen, damit ich möglichst ungehindert reisen kann, und trage wenn nötig die Maske, um nicht angegangen zu werden. Das Gerede von Solidarität - womit wahlweise Abstand halten, Zuhause bleiben, Maske tragen oder Impfen lassen gemeint ist - hatte während des letzten Höhepunktes der Pandemie längst inflationären Charakter erreicht: Solidarisch bin ich mit meinem Mitbewohner, der seinen Job verliert und deswegen die Miete nicht mehr bezahlen kann oder mit meiner Stammkneipe, die wegen der behördlichen Schliessung ums Überleben ihr Bier ausschenken muss, aber nicht mit dem Gesundheitszustand der ganzen Gesellschaft. Ebenso bedenkenswert die Hysterie, der neulich eine Gruppe Künstler in Deutschland ausgesetzt war, nachdem sie den Lockdown kritisiert hatte - sie deutet auf eine Hochkonjunktur des moralisierenden Zeigefingers und damit auf eine Trivialisierung der Debattenkultur hin. Die Moralisten wähnen sich auch in der Pandemie auf der sicheren Seite. In Deutschland sowieso, aber auch in der Schweiz.

In der Gruppe der Impfgegner und Coronaleugner gibt es jedoch eine Fraktion, die mit einer Mischung aus Infantilität, missionarischem Eifer und sehr schlechtem Geschmack die Coronaturbos weit hinter sich lässt. Da purzeln Judensterne und donnern Nazivergleiche vom Himmel, denn sie, die Retter des Abendlandes, befinden sich eigentlich im Kampf gegen Hitler, diesmal einen ohne Schnauz und französischer Muttersprache. Ein Kollege sagte mir neulich, weil ich die Maske einen lächerlichen Lappen nannte und er mich deshalb auf seiner Seite wähnte, er würde, hätte er gerade eine Waffe dabei, den Schweizer Gesundheitsminister Alain Berset sofort erschiessen, und dies übrigens, um seine Kinder zu schützen - wow, was für ein Papa! Ihre Freiheit wollen sie zurückhaben, schreiben sie im Internet, nur um ein paar Zeilen weiter unten zu offenbaren, dass sie auch vor der Pandemie keineswegs frei waren, im Gegenteil: Sie, die armen Büezer und kleinen Leute - das geschröpfte und durchgevögelte Volk eben, Köppel und Thiel haben's ihm erzählt -, die jeden Tag hart arbeiten, während der Bund, die Grünen und die Linken Benzinpreise erhöhen, Genderwahn betrieben und das Geld den vereinigten Migranten aller Welt irgendwohin schieben. Jetzt die Pandemie. Was kommt als nächstes?

Es ist diese dümmliche Weigerung, sich anstrengen zu wollen, die mich erschreckt, und dabei immer demjenigen hinterher zu laufen, der gerade das serviert, was man hören möchte, jene Antworten gibt, die gerade so im Affekt drin sind, Lügenpresse schreien, aber irgendeinem Youtube-Guru an den Lippen hängen, und sei das, was der erzählt, noch so absurd. Das kann weit gehen, wie man aus den USA weiss, bis zu Spitzenpolitikern, die Kindern das Blut aussaugen - natürlich! Warum bin ich nicht schon vorher drauf gekommen? Vielleicht denkt eben mein Bürokollege, dass der Herr Berset seinen Kindern genau das antun möchte. Blut aussaugen. Ob er die passende Nase dazu hat? Und noch dies: Ich glaube überhaupt nichts. Auch nicht das, was in der Zeitung steht. Überhaupt spielt der Glaube eine untergeordnete Rolle. Aber ich versuche mich dem anzunähern, was man einen Standpunkt nennen könnte. So schwierig ist das. Amen.

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