top of page

Zwei Geschichten, zwei Charaktere

Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch.

Solschenizyns Darstellung des Lagerlebens unter Stalin, die Schinderei, die Menschenquälerei. Doch nicht nach Selbstmord sinnt dieser Mensch, er hat innere Dämme dagegen gebaut. Nicht in Fluchtfantasien rettet er sich oder in die Illusion einer Zukunft, die es für ihn nicht mehr geben kann. Von der Freiheit, der Heimat, vom Ausserhalb des Gulags nichts. Der Trott ist das Leben, die Todesverachtung, der harte Tag an der Kälte, ein beliebiger, genau wie die andern, ist hier dargestellt. An sein Essen zu kommen sein ganzer Begehr; sich beliebt zu machen bei denen, die manchmal ein Paket aus der Heimat erhalten, damit sie ihm etwas zustecken möchten über den gröbsten Hunger hinaus; die Lebensgefahr zu bestehen, die im Besitz verbotener Gegenstände, im Herbeischmuggeln kleiner Werkzeuge liegt; die Sehnsucht nach den Seinen auszuradieren im Wissen, dass es ihnen zuhause nur wenig besser ergeht. Das Lager ist sein Zuhause geworden, ein Vorbild der Arbeit gibt er hier ab, den aufrechten Sklaven, einen Mustersträfling. Am Ende des Tages mit sich im Reinen, schläft er zufrieden ein. Nichts ist schiefgegangen heute. Fast schon ist es ein Glückstag gewesen.

 

Das Märchen vom gestiefelten Kater.

Was tut der Mensch, wenn er vom Glück nicht mehr träumen kann? Solschenizyn hat es dargestellt im Lagerleben, Kertesz und Andere haben es getan: das Lager wird das Glück.

Der Gestiefelte Kater hingegen handelt von einem benachteiligten Erben, einem jungen Tollpatsch, der von seinen älteren Brüdern ausgebootet mit einem Kater vorliebnehmen muss. Das sprechende Tier aber, sobald es Stiefel überzieht, verhilft ihm zu grossem Reichtum, dem herrlichen Schloss eines Zauberers und gar zur Königstochter; wird Hauptfigur, und sein Besitzer der Tollpatsch Staffage, Zaungast des eigenen Glücks. Er wäre mit dem ersten Sack voll Gold mehr als zufrieden gewesen, will den Kater hindern, immer weiter zu scheffeln; hätte davon bloss einen Hausstand gegründet und wie sichs gehört ein rechtschaffenes Leben geführt. Doch der gierige Kater will höher hinaus als sein bescheidener Halter, Meister genannt, aber vom Kater gehalten, gemeistert; schanzt ihm mit List auch die Königstochter zu. Der Tollpatsch wird Prinz und dann König.

Sein Kater will nichts weiter mehr tun als Mäuse zu fangen; vorgeblich. Gewiss aber noch manchmal den König, um ihn um den Daumen zu wickeln. Dass der ihn zu seinem Minister macht, ist Dekoration. Sowieso ist im Leben des Königs der raffgierige Kater der Chef.

 

Im Kampf gegen das elende Verrecken den Kopf oben behalten - die Strategie des Ivan Denissowitsch. Ausgestossen sich fühlen, im Jammer, im Katzenjammer, von einem bescheidenen Glück nur träumen - der Zustand des übertölpelten Erben, der nicht weiss, wie ihm von nun an geschieht; ins grosse Glück überredet und manipuliert zum Zaungast des eigenen Lebens wird, dessen Regie ein Anderer führt.

Solschenizyns Geschundener bleibt autonom in sich selbst und Subjekt seines Lebens, indes der verwöhnte König sich fremd bleibt, Objekt seines gestiefelten Katers.

 

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen
Verrückungen

Scarp , von einem Schmetterlingsflügel weit und schön wie der Frühling auf eine Wiese getragen, landet inmitten ruhender Kühe. Eine mit...

 
 
 

Comments

Rated 0 out of 5 stars.
No ratings yet

Add a rating
  • Facebook
  • Twitter
  • LinkedIn

©2020 Reimers Blog. Erstellt mit Wix.com

bottom of page