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Daniel Costantino

Wie’s der Zufall will

Aktualisiert: 17. Juni 2021

Es gibt so Tage, da stimmt etwas mit der Statistik nicht. Am frühen Morgen beim Duschen fällt plötzlich die Neonröhre im Badezimmer aus, und da man keinen Ersatz im Hause hat oder jedenfalls auf die Schnelle nichts findet, absolviert man den Rest der Morgentoilette im Abglanz einer Korridorpfunzel, deren schäbiges Licht um zwei Ecken herum an der Schwelle des Badezimmers verblasst. Von einer gepflegten Rasur kann unter diesen Umständen natürlich keine Rede sein.

Kommt man dann abends müde von der Arbeit und dem Lärm am Stammtisch nach Hause, gibt auch das Stubenlicht den Geist auf. Kaum ist es hell geworden in der Wohnung, pflop! wird es schon wieder dunkel wie die Nacht. Statt einer neuen Glühbirne liegt nur noch eine leere Schachtel in der Schublade unterm Backofen. 75 Watt steht drauf. So biwakiert man denn für den Rest des Abends im bläulichen Dunst des Flimmerkastens auf dem Sofa, von einer Art Flutlicht aus der Küche hinterrücks erleuchtet wie ein Strassenpfosten. Bis man sich vor dem Zubettgehen im finstern Badezimmer brav die Zähne putzt, nicht ohne erst die Tube Zahnpasta unter der Korridorpfunzel zu inspizieren, damit man sie nicht mit der Salbe gegen Fusspilz verwechselt. Eine neue Neonröhre hat man nämlich noch keine gekauft.


Ein Unglück kommt selten allein, wer kennt nicht solche Geschichten. Alles Zufall! hör ich von überallher rufen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich beim nächsten Wurf eine Sechs würfle, liege bei einem Sechstel. Liege für jeden Menschen bei einem Sechstel. Die Tatsache, dass meine Freunde viel häufiger als ich eine Sechs würfeln, ändere daran gar nichts. Und wäre mir das Glück beschieden, hundertmal hintereinander eine Sechs zu würfeln, irgendwo auf der Welt lebte ein armer Kerl, der würfelte fünfhundertmal keine. Dem Schicksal geht es also nicht um mich persönlich, sondern ums grosse Ganze. Darin liegt seine ausgleichende Gerechtigkeit.


Zuweilen lässt sich aber mit Fleiss und Schweiss das Glück auch für den Unglücklichen ein wenig zwingen. Mindestens bis zur ehrenvollen Niederlage, man denke etwa an den Fussball, wo es eine kleine, aber feine Equipe, in der einer für alle und jeder für jeden bis zum Umfallen rackert, ans Finale gegen einen grossen Gegner schafft und dann leider durch einen umstrittenen Penalty in der Verlängerung verliert. Aber wer hätte gedacht, dass sie es überhaupt so weit bringt!

Ganz ähnlich verhält es sich mit einem Konzern und seinen zahlreichen Angestellten. „Alle für einen“, lautet das Prinzip nun umgekehrt hier, aber man merkt sofort, es steckt derselbe Sportsgeist dahinter. Es geht jetzt nicht nur ums grosse Ganze, sondern so richtig ums ganz Grosse, und nur wenn’s dem ganz Grossen gut und immer besser geht, geht’s auch im Grossen und Ganzen einigermassen und wird es auch dem ganz Kleinen einmal besser gehen. Die berühmte Schere zwischen Arm und Reich geht idealerweise so auseinander, dass nicht nur die Distanz zwischen den beiden Klingen zunimmt, sondern die schwächere noch irgendwie im Schlepptau der stärkeren hinterdreinhinkt.


Wer das Ziel aus den Augen verliert, dem sei der Weg das Ziel. Aber so hoch will ich das bescheidene Ungemach mit den zwei Lampen, die am selben Tag ausfallen, nun beileibe nicht hängen. Im ganz kommunen Alltag bleibt man ja doch meistens selber seiner eigenen Schere schwacher Schmied und muss das Glück des einen nicht auch das Pech des andern bedeuten. Es gibt bloss manchmal so kleine statistische Auffälligkeiten im Leben, die beziehen sich nur auf einen selbst. Niemand zieht Nutzen daraus, und keinem andern können sie schaden. Was mir neulich ein Freund unter vier Augen anvertraut hat, ist gerade ein passendes Beispiel.


Da gibt es in der Nähe, wo er wohnt, einen hübschen kleinen Laden, einen Tante-Emma-Laden, wie er immer sagt. Bisschen Gemüse, bisschen Konserven, etwas Schreibzeug und gutes Bier. Und beim Ausgang eine einzige, altmodische Registrierkasse, ich weiss nicht, ob sogar noch mit Kurbel. Logisch, dass es da manchmal ein Gedränge gibt und die Warterei vor der Kasse sich in die Länge zieht. Doch jedesmal, wenn er sich hintanstellt und zehn Minuten warten muss, bis er drankommt, bleibt er bis zum Schluss der Letzte in der Schlange. Das verfolge ihn nun schon seit Wochen, hat er mir gesagt. Nie komme einer dazu und stelle sich hinter ihn. Er habe schon die Uhrzeit gewechselt, sei am Nachmittag statt am Morgen einkaufen gegangen, am Donnerstag statt am Dienstag und so weiter. Manchmal habe er Glück und es befänden sich nur zwei, drei Leute im Laden. Doch das zähle nicht. Sobald er in einer langen Schlange der Hinterste sei, bleibe er das auch. Wie durch einen geheimen Bann betrete nach ihm keine andere Person mehr den Laden. Es sei zum Verrücktwerden.


Also mich würde das auch beschäftigen. Ich glaube zwar nicht an höhere Mächte und so. Aber die Vorstellung, dass irgendwer hoch oben zuschaut und sich ins Fäustchen lacht, die hab ich manchmal doch.


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