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AutorenbildCaspar Reimer

Von Terror und Gegenterror

Es ist ein kleines Terrorregime, das mein Chef eingerichtet hat. Dabei ist es längst nicht bei dem geblieben, was schon bekannt ist, nämlich dem Verbot des Sprechens während der Arbeitszeit, es ist geht viel weiter – der kleine, unscheinbar wirkende Mann hat uns auch untersagt, Pausen zu machen. Darauf hatte er mich neulich hingewiesen, als er ein angeknabbertes Brötchen auf meinem Pult neben dem Computer hat liegen sehen. Die Benutzung von Handys oder privates Surfen sind – das versteht sich von selbst – strengstens verboten, was ihn jedoch nicht daran hindert, mir während der Arbeitszeit einen Newsletter über die bevorstehende erneute Abstimmung zum Covid-Gesetz zu senden: "Väter! Mütter! Tut Euch zusammen und tretet der impfwütigen Verbrecherbande und ihren Kollaborateuren geschlossen entgegen!", "Eltern! Es kommt die Stunde, da eure halbwüchsigen Kinder Euch die Frage stellen werden: Warum habt Ihr zur Impf-Euthanasie geschwiegen?" Diesen Newsletter, Absender "Verein Bürger für Bürger", lässt er mir mit dem Hinweis zukommen, dass ich, falls ich unsicher sei, wie ich abstimmen soll, gerne während der Arbeitszeit zu ihm ins Büro kommen könne, um zu diskutieren – er erwarte meine Antwort. Ja, er ist ein leidenschaftlicher Impfgegner, vor dem sich Alain Berset ums Leben fürchten müsste, sollte er ihm über den Weg laufen. Während des Höhepunkts der Pandemie war es uns verboten, eine Maske zu tragen, denn sie sei ein Symbol des Faschismus, und ein jüngerer Kollege, der den Fehler machte, seine Maske auf dem Weg in die Werkstatt aufzusetzen, wurde von Chef und Werkstattleiter, ein ständig seinen Rotz hochziehender Vierschrot, pöbelnd zurechtgewiesen – er müsse sich entscheiden, auf welcher Seite er stehe. Auf des Chefs Angebot zur Diskussion über die Abstimmung habe ich selbstverständlich nicht geantwortet, was auch keine Rolle spielt, denn der subtile Terror, den er erzeugt, entstammt seinem Unvermögen, mit Mitarbeitern umzugehen – das Ganze ist eine tragische Lachnummer. Die vier Stunden, die ich dort neben meiner eigentlichen Profession täglich vergeude und deren Auswirkung mir manchmal und mittlerweile öfters schmerzhaft gewahr wird, sie gleichen einem Spiel, denn er, der Chef, ist wie ein unberechenbares Raubtier, das ab und an gefüttert, ja gezähmt werden muss. Um ihn ruhig zu halten, ist es wichtig, sporadisch Resultate zu liefern, wobei ich meine Zeit dort so strukturiere, dass sie einem stillen Krieg gegen seinen Versuch und die gleichzeitige Unfähigkeit, Kontrolle auszuüben, gleicht. Ich mache nämlich Pausen – sogar genüsslich und, mir dabei gönnerhaft auf die Schulter klopfend, äusserst grosszügig. Der Krieg hat einen neuen Höhepunkt mit einem säuberlich gestalteten Pausenplan, den ich mir gezeichnet habe, erreicht. Dabei zähle ich mit einer Mischung aus boshafter Kälte und angespannter Überreiztheit, die den einem Jähzornsausbruch vorausgehenden Sekunden gleicht, die Minuten, in denen ich mich dem Feind frohlockend entziehe, diese Minuten, sie sind kleine Terrorakte, kleine Nadelstiche. Mit jedem Fehltritt, den sich der Chef erlaubt und bei deren Bemessung ich äusserst kleinlich bin, dehne ich den Zeitraum meiner Pausen aus, wobei ich meinen Pausenplan nicht nur korrigiere sondern ihn ganz neu, gewissenhaft sauber zeichne und die dafür verwendete Zeit mit der Arbeitszeit verbuche. Es sind menschliche Abgründe, die aufklaffen, wenn ich mir meiner Abneigung gegenüber den Kollegen bewusst werde, denn sie sind dort, wo ich nicht sein sollte, sie tragen mit bleichen Gesichtern und verstummter Kehle mit, wogegen ich mich noch zur Wehr setze. Der Neandertaler von der Werkstatt – ich nenne ihn so, weil er brüllend durch unsere Büroräume trampelt – er wird ein feines Gespür für jene haben, die nicht der Spur nachgehen, nicht wissen, wo's langgeht, die nicht den Stallgeruch der Bude, für die sie sich tagtäglich stumm abrackern, atmen und ausströmen. Die gegenseitige Verachtung, die zwischen uns beiden hell knistert wie die defekte Zündschnur einer Bombe, sie gehört zu den prickelnden Erlebnissen dieser Stunden, die ich an diesem Ort verbringe. Sobald sich die Möglichkeit ergibt, ist es nicht mehr die Frage der Wahl. Ich werde aufstehen. Und nicht wieder kommen. Oder: Mein Chef liest diesen Text. Dann darf ich meine Brötchen nächstens wieder am Vormittage essen.

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