Mich beschäftigt die Frage, ob es etwas Unabhängiges geben kann. Etwas, was von alleine entstünde und unbeeinflusst von etwas anderem da wäre. Ein kleiner Punkt, ein bisschen Druck, ein Quentchen Raum. Vielleicht ein Funken Licht oder ein Tropfen Text – irgendetwas auf der Welt, oder wenigstens in meinem Kopf, was sich entscheiden könnte zu werden oder nicht und diese Freiheit absolut besässe. Was keine Folge wäre und keine Komplikation von etwas anderem und somit keiner Ursache unterworfen. Es möge hängen oder treiben, verharren oder wachsen, ganz egal. Wie kann etwas sein, Frage aller Fragen, wo vorher nichts gewesen, Stein oder Seele, Hitze oder Hauch, Molekül oder Quark oder Quatsch. Zum Beispiel ein kleiner Punkt ohne Ausdehnung, keine Länge, keine Breite, ohne nichts drumherum und kein Raum noch Zeit noch Licht, eine unendlich kleine Masse, schwer wie ein Kosmos, der nirgendwo – und plötzlich: Päng! Ein Riesenknall – – –
„Gott!“ höre ich rufen. Aber das bringt mich nicht weiter. „Gibt es ihn denn wirklich?“, frage ich zurück. Die Antwort, statt eines klaren Jas oder wenigstens eines Neins, füllt Bücher.
Mein Freund Joe aber hat einen Beweis gefunden. Nicht für Gott zwar, wer ist er denn, aber doch dafür, dass es etwas gibt, was sich selber herstellt: Es sind die Schmeissfliegen. Diese kleinen Biester in Abfallhaufen und Kehrichtsäcken, in Kompostbehältern und auf den Rückständen von Mahlzeiten, wenn tagelang gebrauchtes Geschirr in der Küche herumliegt und vor sich hin gammelt. Ihre Hauptsaison ist der Sommer, aber in gutgeheizten modernen Wohnungen gibt es sie auch im Winter, wenn es schneit. Keiner weiss woher, plötzlich sind sie alle da wie vom Himmel gefallen, wenn man den Dingen den Lauf lässt. Und verschwinden auf der Stelle, wenn gekehrt und gespült und geputzt ist, spurlos und scheinbar endgültig. Man kann ein halbes Jahr seine Wohnung auf Vordermann halten, aber es genügen drei, vier unachtsame Tage und sie sind wieder da, so zahlreich und unendlich, als wären sie nie weggewesen.
Ja eben die, sagt Joe. Sie stellten sich selber her. Sie entstünden ohne Zeugungsvorgang alle zusammen aus dem Dreck, auf einen Schlag, ohne Laichen und Brüten. Wie Pönix aus der Asche, auferstünden sie im Dreck. Als Gattung seien sie älter als selbst die Dinos.
Wie dem auch sei, ich finde, der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt und doch kommt man in gewissen Dingen nicht weiter. Ein Vierjähriger fragt, warum er aufessen müsse. Antwort: Damit er gross und stark werde. Warum er gross und stark werden solle. Weil er noch wachse. Warum er denn wachse? Weil er auf der Welt sei und lebe. Undsoweiter. Drei Fragen später weiss keiner mehr eine Antwort.
Hingegen gibt es Sonderfälle der Fantasie, die so fantastisch sind, dass man sie nur gänzlich ohne jede Vorstellungskraft überhaupt erfassen kann, wie einmal zum Tag der deutschen Sprache geschrieben stand:
>Die deutsche Sprache versinkt in einem Sumpf aus mangelnder Fantasie und nicht vorhandenem Sprachgefühl.<
Es ist, als ob einer Pfütze das Regenwasser fehlte und der Matsch. Was bleibt da vorhanden? Man wird die geistige Lücke noch einmal vermissen, die der Fantasiemangel hinterlässt.
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