Die Plattitüde lebt davon, dass sowohl die einen, die von ihr Gebrauch machen, als auch die anderen, die sie nachplappern, das Gehirn totschalten, bedient sie sich doch gerade so dessen, was zur Hand ist oder in der Luft liegt. Sagt der eine: «Die Jungen von heute haben keine Eigenverantwortung mehr»; da blökt der andere: «Sie sind eben verweichlicht, wissen nicht mehr, was hartes Anpacken bedeutet.» Und ein dritter wettert dazu: Das sei die Mentalität der Teilzeitarbeit. Er sehe das jeden Tag: Viele führen heute schon um vier nach Hause, statt bis fünf zu arbeiten. Oder sie verpufften alle am Gymnasium, an der Universität. Nach ein paar Minuten haben sich die drei ihre Köpfe feuerrot geschwatzt und bringen sogleich die Ursache der pandemischen Verweichlichung auf den Punkt: «Es geht uns einfach allen viel zu gut!» Zum gleichen Schluss ist übrigens eine Politikerrunde gekommen, die darüber beriet, warum die Wahlbeteiligung in der Schweiz derart tief sei. Auch sie fand unter freiem Himmel bei Vogelgezwitscher, Kaffee und Croissant heraus: «Die Leute gehen nicht wählen, weil es ihnen zu gut geht.» Ich denke mir dazu: In einem Land mit einer vorzeigbaren Suizidrate – zwei Komma sieben sind es pro Tag – scheint dieses Geschwätz fast schon zynisch.
Die Plattitüde ist zu unterscheiden von der Floskel: Ein «Wie geht’s?», «Was machst?» oder «Heute ist das Wetter wirklich schauerlich» ist der Hilfsassistent für jene, die Stille nicht mögen oder aushalten und ein Mittel, mit Leuten ins Gespräch zu kommen. Die Plattitüde dagegen versteht sich als eine ernste Sache. Sagt ein Politiker, dass Arbeit sich wieder lohnen müsse, wird er Beifall ernten. «Wer arbeitet, ist der Dumme», hört man raunen und man darf sich darüber auslassen, dass unsereiner krampfen müsse, während den anderen alles irgendwohin geschoben werde. Die Plattitüde heischt spontane Zustimmung einhellig wie selbstverständlich, man hat den Riecher und gleich die angebrachten Sätze parat. Und, wer weiss, vielleicht gibt’s für den Politiker ein paar Stimmen mehr. Dabei geht es doch nicht darum, dass sich etwas wieder lohnen müsse, sondern vielmehr, ein System zu schaffen, das allen ein gutes Auskommen ermöglicht.
Unsere Wahlkämpfe sind reinster Plattitüdensalat. Sagt ein Politiker in einer aufgeregten Talkshow etwas, das er sich selbst ausgedacht hat, herrscht nicht selten kurzes Schweigen. Man müsste, um zu antworten, selbst nachdenken, doch würde das den Rahmen der Sendezeit wohl sprengen. Schöne Plattitüden haben die Sportler mit Migrationshintergrund auf Lager. Breel Embolo sagte während eines Interviews etwa fünfmal, dass er dankbar sei und etwas zurückgeben wolle. Ich denke mir: Abseits solcher Worthülsen wäre mit ihm sicher ein interessanteres Gespräch möglich gewesen.
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