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AutorenbildCaspar Reimer

Von Irrwegen

Neulich war ich eine Beziehungskiste gefallen, oder besser gesagt, ich war hineingestolpert. Und ehe ich der miefigen, trostlosen und in jeder Hinsicht unerotischen, ja sogar etwas schmierigen Sackgasse gewahr wurde, in die ich mich da verirrt hatte, stand der Mann am Valentinstag mit einem bunten Blumenstrauss in meinem Garten, bekam ich zu Ostern den Hasen mit den grössten, imposantesten Ohren aus zuckersüsser Milchschokolade nach Schweizer Fabrikation und begrüsste mich an einem Frühlingsmorgen auf der Treppe zu meiner Haustür ein Kücken aus Stoff en miniature, um den Hals ein goldenes Stoffband mit einem rosaroten Herzchen, das daran bammelte und im Sonnenlicht fröhlich glitzerte. Auch wenn mir eine Kollegin riet, ich müsse in meiner Situation, die sich dadurch auszeichnete, dass ich vor einem Jahr meinen besten Freund und Lebensmittelpunkt durch eine Krankheit verloren hatte, die mich also zur leichten Beute jeder dahergeflogenen Umarmung einsamer Seelen machte, müsse tunlichst acht geben, auf wen ich mich da einliess, denn in meiner Situation sei ich für jegliche menschliche Zuwendung dankbar, passierte eben genau das, wovor sie mich gewarnt hatte.


Bei einem der ersten Treffen hatte ich den Mann, der mich für sich zu gewinnen versuchte, zum Abschied an der Schulter berührt, um mich für das reichhaltige Abendessen zu bedanken, und in dem Moment war es um die Möglichkeit, einen Menschen Schritt für Schritt kennenzulernen und dabei zu sehen, worin das gemeinsame Erleben bestehen könnte, geschehen. Kaum war meine Hand für zwei, vielleicht drei Sekunden auf seiner Schulter gelegen, riss er sie an sich und umklammerte sie mit festem Griff. Mich überfiel eine Mischung aus verwirrter Heiterkeit, die darin Bestand, dass das Leben trotz des Verlustes noch Skurriles zu bieten hatte, und dem Gefühl, mich loszureissen und mich schnellsten Schrittes aus dem Staub zu machen. Auf dem Weg zum Bus, auf den er mich bedauerlicherweise begleitete und mir dabei immer näher rückte, gab es für mich aber keine Möglichkeit, mich aus dem Griff der warmen Patsche, die meine Hand fast erdrückte, loszureissen. Ich hoffte so auf den Bus, der mich erlösen möge, doch das Display sagte mir, dass ich noch sechs Minuten in dieser Situation würde ausharren müssen.

Wobei mir die Eroberung, die sich durch eine stumpfe aber gleichzeitig auch rührende Einfachheit auszeichnete, die geradlinig wie eine Schnellstrasse und seinerseits ohne jede Spur von Zweifel verlief, auch imponierte. Und sie bestand nicht nur aus Geschenken, die er mir vorbeibrachte oder vor die Tür stellte, sie war auch eine kulinarische Umgarnung, denn er wusste, wie schmerzlich ich das gemeinsame Kochen mit meinem verstorbenen Freund vermisste. Also unternahm er alles, um mir zu demonstrieren, dass er es mit meinem Alten, der inzwischen gemütlich auf dem Friedhof ruhte, locker aufnehmen kann: Ein Abendessen opulenter als das vorherige, die neuste Bratensauce deftiger und geschmackvoller als die letzte, der neuste Kuchen, den er extra für mich gebacken hatte, mit einer besonders dicken und leckeren Schokoladenglasur beschmiert, besser, zuckersüsser und in seiner Art verführerischer als überhaupt je ein Kuchen in der Menschheitsgeschichte hätte sein können. Und als man sich nach dem Abendessen wortlos, vollgefressen und in bereits einstudierter Routine, die jedem Freigeist die Haare zu Berge stehen lassen würde, vor den Fernseher auf das Sofa knallte, ging es mit der Bearbeitung meiner Seele, die sich in sein Korsett hätte einfügen sollen, weiter. Immer wieder stand er gähnend auf, watschelte in die Küche, holte ein kleines in Folie verpacktes Schokoladenei und drückte es mir in die Hände, manchmal auch zwei auf einmal, sah mich dabei an wie ein treuherziger Hund und liess sich ruckartig, begleitet von einem wohligen Seufzer neben mir auf das Sofa fallen. Bei ersten Ei sagte ich danke, wies ihn aber darauf hin, dass ich jetzt wirklich genug gegessen hatte, doch meine Botschaft schien ihn nicht zu interessieren, denn steter Tropfen höhlt schliesslich den Stein und beim fünften Ei fühlte ich mich bereits soweit in die Enge gedrängt, dass ich nur noch mit einem verzweifelten Kopfnicken reagierte und der Impuls wieder in mir aufflammte, die Tristesse auf dieses Mannes Sofa schnellstens zu verlassen. Doch ich blieb sitzen und das Schokoladenei zerschmolz jeweils in meiner Hand und ich entsorgte die Überreste im Badezimmer, wenn ich es schaffte, den Mann für einen kurzen Moment loszuwerden.

Als er dann bei einem gemeinsamen Frühstück eine halbe Stunde darüber berichtete, wie er jüngst einen Nachmittag damit verbracht hatte, in der Stadt den günstigsten Russenzopf aufzuspüren und mir dabei jeden Gedankengang beschrieb, jede Tramverbindung samt möglicher Alternative aufzeigte, die ihn von einer Bäckerei zur nächsten geführt hatte, als er mir diese Erlebnisse und Preisvergleiche in der goldenen Morgenstunde um die Ohren haute, da stand ich auf, machte mich gross, drückte meine Hände fest auf beide Ohren und stiess einen kurzen, schrillen Schrei aus. Dann nahm ich meine Jacke, zog die Schuhe an und verliess die Wohnung. Er musste denken, ich sei verrückt. Zum Glück hatte er es noch rechtzeitig gemerkt. Ich hörte nie wieder etwas von ihm. (Sommer 2020)

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