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AutorenbildCaspar Reimer

Von einem Ufer zum anderen

Die Grenze zwischen jenen, die ihre Tage gestresst, verkabelt, vernetzt, mit schmerzenden Augen in schicken Büros fristen und den anderen, die nachts vor Kälte schlotternd am unteren Treppenende zum abgesperrten Eingang des U-Bahnhofes zu schlafen versuchen, ist nicht nur äusserst durchlässig, sie ist ­– genau genommen – gar nicht existent, handelt es sich dabei doch schlicht um zwei Varianten, von – frei nach Eugen Drewermann­ – einem Ufer des Lebens ans andere zu gelangen.


Manche Menschen halten stur an einer Variante fest, fliessen mit ihr zusammen und folgen dem Strom, den sie als Privileg oder Schicksal bezeichnen, nicht imstande, die Spur zu wechseln, die Bühne neu zu bespielen, einen Funken zu zünden. Fatalität – nicht selten beendet mit dem goldenen Schuss oder der bleiernen Kugel. Andere Menschen dagegen ­– und diese Variante ist zu bevorzugen ­– wechseln ständig hin und her, ändern ihre Form, verwandeln ihr Dasein innert kürzester Zeit und beherrschen dabei die Kunst, jeweils das passende Gesicht zu zeigen, wobei natürlich mit zunehmendem Alter nicht mehr alles spurlos an einem vorübergeht, sich ein Kater oder eine durchgezechte Nacht durch eine versteinerte Miene oder rote Augen verrät, wobei es dann gilt – und das ist geschenkt – passende Ausreden zu finden. Diese Menschen ergeben sich nicht ihrem Schicksal, nein ­– sie bauen es ständig um, strampeln wie wild gegen jede Routine, gegen jede Vereinnahmung oder feste Spur.


Selbstverständlich ist der Versuch, sich einer aufgepfropften Identität zu entziehen, mit Risiken verbunden, doch – frei nach Imre Kertész: Nur ohne Schicksal ist Freiheit möglich.

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