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AutorenbildCaspar Reimer

Von einem, der lebt, um entlassen zu werden

Immer, wenn sich einer erbarmte, ihn einzustellen, dauerte es keine fünf Monate, bis er wieder entlassen wurde. Allerdings liess er dabei nicht – wie viele denken mögen – den Kopf hängen. Ganz im Gegenteil. Jedesmal, wenn er von neuem wieder gefeuert, in den Hintern getreten, auf die Strasse gestellt und im Regen stehengelassen wurde, durchströmte ihn ein Gefühl der Befreiung, das jenen Momenten glich, als er noch ein Kind war, sich beim Anblick von Dutzenden Geleisesträngen, in denen sich die untergehende Sommersonne funkelnd spiegelte, unzählige Wege und Möglichkeiten, die Aufbruch und Abenteuer verhiessen, auftaten und jede Angst, jede Vernunft aussen vorliessen.

Während andere Sicherheit in einem geregelten Arbeitsverhältnis, in einer konventionellen Partnerschaft, in Ritualen suchten, trieb ihn sein Innerstes immer fort, weg von jeglicher Vereinnahmung. Beim kleinsten Zeichen von Anpassung und Harmonie begann er, dagegen zu arbeiten, in die andere Richtung zu steuern, zu strampeln und stampfen was das Zeug hält. Und er tat dies so lange, bis er wieder da stand, wo er hinwollte: Im Abseits, im Regen, auf der Strasse, dort, wo ihn der Kick erwartete, nachdem er süchtig war und den Psychiater als Anpassungsstörung diagnostizieren würden. War er überhaupt jemals auf dieser Welt angekommen? Hatte er nie Urvertrauen gefasst? Verabscheute er die Gesellschaft und die Menschen, die sich darin wie Hühner im Stall gackernd Seite an Seite drängten? Oder: Verabscheute er letztlich sich selber? Solcherlei Fragen stellte er sich gar nicht, denn er fühlte sich in seinem Tun unglaublich erhaben. Die Menschen, die des morgens mit finsterer Miene zur Arbeit fuhren, lachte er, wenn er wieder arbeitslos war und dem Treiben von seinem Balkon aus zusehen konnte, mit höhnischer Verachtung und ausgestrecktem Zeigefinger aus.


Nun war er aber nicht mehr grün hinter den Ohren und wusste um die Konsequenzen, die seinem Tun folgen konnten. Der Aufprall auf dem Boden der Realität würde hart werden, wenn er sich nicht absicherte, denn irgendwann – so könnte man meinen – würde ihn keine Firma, kein Arbeitgeber der Welt mehr einstellen. Im Laufe der Jahre und seiner Studien der Menschen hatte er aber herausgefunden, dass es in der Arbeitswelt Chefs gab, die sich nach solchen Kerlen wie ihm sehnten. Wie er brauchten sie die Reibung, die Konfrontation, den Kick, endlich die Maske des anständigen Arbeitgebers abreissen zu können. Sie waren peinlich gelangweilt und gleichzeitig bis ins Knochenmark genervt von den ewig beflissenen Sklaven mit Hundeblick und nach vorne gebeugten Schultern, denen sie Tag für Tag den Hintern zum Lecken hinhalten mussten. Meist waren es Arbeitgeber in kleineren oder mittelgrossen Unternehmungen, solche, die niemand herausforderte, niemanden hatten, der ihnen auf Augenhöhe begegnete.


Mit diesen Menschen hatte er, der es liebte entlassen zu werden, perfekte Partner gefunden und die Kunde sprach sich unter den gelangweilten Chefs herum, dass da einer war, vor dem man sich nicht zu verstecken brauche, der sich die Schamlosigkeit, die Provokation zur Hauptkompetenz gemacht hatte und dies in seinem Bewerbungsschreiben auch so vermerkte. Es gab sogar Chefs, die ihm mehr Lohn zahlten, wenn er sich besonders unmöglich und renitent verhalten möge, dies natürlich verbunden mit der freundlich vorgebrachten Hoffnung, dass er sich nach der Entlassung und den Ehrenrunden in anderen Firmen erneut bewerben würde. So konnte er der Sucht, entlassen zu werden, nachgehen und verdiente dabei besser als manch ein anderer. Die Frage, was er nach der Pensionierung tun würde, stellte er sich nicht. Freunde, mit denen er den dritten Lebensabschnitt hätte verbringen können, hatte er keine mehr.

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