Es gleicht einer Schmierenkomödie, wie die führenden Köpfe Grossbritanniens und Frankreichs gerade versuchen, ihre Politik – und damit sich selbst – ins Trockene zu bringen, nachdem die 27 Flüchtlinge im Ärmelkanal und damit vor der Haustür ihrer Länder ertrunken sind. Während der französische Innenminister Gérald Darmanin so tut, als wären die «kriminellen Schlepperbanden, welche das Elend von Mitmenschen ausbeuten» die eigentliche Ursache des Problems und Emmanuel Macron voller Pathos oben drauf setzt, man werde nicht zulassen, «dass der Ärmelkanal zu einem Friedhof wird», ist der britische Premierminister Boris Johnson so dreist, sich über «bestimmte Partner», namentlich Frankreich zu beschweren, die zu wenig unternähmen, um die Migration über den Ärmelkanal zu stoppen. Eine ähnliche Heuchelei spielt sich weiter östlich ab, wo die Europäische Union Polen zwar wegen der gewaltsamen Zurückweisung von Flüchtlingen an der Grenze zu Weissrussland geisselt – selbstverständlich mit Verweis auf die hiesigen Werte – selbst aber nichts Handfes unternimmt, um den Flüchltlingen vor Ort aus der Not zu helfen. Man erbost sich mit grossen Worten, wenn es gerade nötig ist – «keine Finanzierung von Stacheldraht und Mauern» – lässt ansonsten gewähren, schafft das Problem aus Augen und Sinn, ja hofft vielleicht, dass es sich von selbst löst – ? Um «einen schweren Imageschaden für die Europäische Union» fürchtete sich die EU-Innenkommissarin Ylva Johansson im Sommer, nachdem Pushbacks an der kroatischen Aussengrenze publik wurden – dumm gelaufen also, denn wären die nächtlichen Machenschaften an der EU-Aussengrenze nicht ans Tageslicht gekommen, das Herz der Friedensnobelpreisträgerin 2012 wäre sonnig wie der blaue Himmel an einem kalten Wintertag.
NZZ-Chef Eric Gujer geisselt gerne und regelmässig Berlin für eine «Migrationspolitik mit ideologischen Scheuklappen» – selbstverständlich wieder mit Verweis auf 2015 – die Deutschen würden «einen robusten Grenzschutz» nicht ertragen – diese Weicheier! – und dabei heraus käme eine «blauäugige Willkommenskultur», die ihrerseits wieder dazu führe, dass sich die einfachen Frauen und Männer in Scharen den Rechtspopulisten zuwenden – als wäre dies ein Naturgesetz. Nun hat seine Zeitung allerdings einen Experten zitiert – «In der Asylpolitik verschieben sich die Grenzen dessen, was wir akzeptieren», heisst es da –, und ich frage mich, ob dieser Chefredaktor immer sofort wieder vergisst, was er geschrieben hat und zu eben dieser Verschiebung beiträgt. Denn, falls er meint, er wäge nur mit nötigem Pragmatismus ab, dann irrt er, bedient er doch mit seinen Worten die Verhunzung des Asylrechts.
Realpolitik ist Zwängen unterworfen, weshalb der Handlungsspielraum jener, die weltpolitisch Geschehnisse lenken, immer eingeschränkt ist. Sie werden das Dilemma unserer Zivilisation – wie etwa die Teilung der Menschheit in einen wohlhabenden und einen armen Teil oder die menschliche Schwäche, Dinge zu tun, die bis ins Knochemmark unvernünftig sind – nicht beheben können. Und sicherlich haben wir es hier mit einem Phänomen zu tun, das kaum lösbar scheint, insbesondere dann nicht, steckt man weiterhin Geld in Rüstungsprogramme und überlässt das Schicksal der Welt der Logik des Marktes. Was ich aber von der Politik erwarte, ist ein Mindestmass an Anstand, ein deutliches Bekenntnis gegen die Verhunzung des Asylrechts, der Menschen auf den Fluchtrouten und ein diesem Sinne entsprechendes Handeln im Rahmen des Machbaren. Das hat nichts mit Naivität oder einer romantischen, linken Augenwischerei zu tun, sondern mit der Haltung, so mit Menschen umzugehen, wie man selbst gerne behandelt werde möchte.
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