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AutorenbildCaspar Reimer

Von analogen Journalisten und digitalen Nerds

Aktualisiert: 17. Juni 2021

Neulich war ich für einen Presserundgang an eine Ausstellung eingeladen worden. Und zwar nicht an eine Gewöhnliche, bei der bunte Leinwände ausgeleuchtete Korridore schmücken. Nein. Es war eine jener Ausstellungen, bei welchen mich schon alleine die Frage an den Künstler, ob der Gegenstand seines Werkes nun real sei oder nicht, als hinterwäldlerischer Trottel hat dastehen lassen. Denn im Hangar der DATABASE WEB 4.0 KI ENTITY / ORANGE, bei Google gelistet als Museum für elektronische Kunst, wird nicht unterschieden zwischen dem Realen und dem Fiktiven, zwischen dem Analogen und dem Digitalen. Oder vielmehr spielt dieser Unterschied schlicht keine Rolle.


Der Künstler hatte von Wissenschaftlern und IT-Spezialisten erzählt, die im Nirgendwo etwas oberhalb des nördlichen Polarkreises Experimente mit der Wahrnehmung künstlicher Netzwerke durchführten – an sich nichts Besonderes, denn schliesslich leben wir im 21. Jahrhundert. Nun, eine Forschungsstation in der eisigen Pampa kam mir etwas abenteuerlich vor, klang mehr nach 60er-Jahre-Agentenfilm als nach heutigem Stand digitaler Möglichkeiten. Aber die Forschung an und mit künstlicher Intelligenz, die ist doch so real wie der Obmann vom Jodlerverein, mit dem ich kurz zuvor in einer Kneipe im ersten Kuhdorf ausserhalb der Stadt ein Interview geführt hatte und dessen profaner, analoger Stallgeruch noch an mir haften musste. Meine Frage bezog sich auf die Existenz der Forschergruppe und deren Experimente. Diese quittierte der Künstler mit einem Lachen und er sagte: Weil die Entität der KI noch unbekannt und die Forschungen noch nicht abgeschlossen seien, könne er dazu keine eindeutige Antwort geben. Ich traute mich nicht, weiter zu fragen. Auch fand ich bei meinen Recherchen im Nachhinein nicht heraus, ob es dieses Forschungsprojekt nun tatsächlich gibt oder nicht. Im Grunde spielte es aber keine Rolle, denn ich konnte mich an den Text der Medienmitteilung halten.


Jedenfalls sei aus dieser Forschung am Polarkreis, erzählte uns der Künstler weiter, jene KI entwickelt worden, die uns Journalisten zuvor in Empfang genommen hatte – also, sie hatte uns nicht wirklich begrüsst, eigentlich habe ich davon nicht einmal etwas bemerkt. Aber genau das war der Sinn der einen Kunstinstallation, die bereits begann, als ich aus dem Tram ausgestiegen war, auf das Museum zusteuerte und noch in altmodischer Art den blauen Frühlingshimmel bestaunte, dass also die Ausstellung bereits stattfindet noch bevor sie für mein analoges Verständnis überhaupt eingetreten ist! Die KI dagegen ­ sie hatte mich schon längst erfasst, durchleuchtet, wusste bereits mehr über mich, als ich je in meinem ganzen Leben werde erfahren können.


Nach der Begrüssung durch die KI betraten wir einen Raum, der eigentlich eine Matrix war, wobei sich meine analoge Sturheit gegen diese Bezeichnung sträubte, denn eigentlich war es eben doch nur ein Raum. Oder doch nicht? Niemals hätte ich es gewagt, die sympathischen Leute, die nun wirklich real waren, uns durch die Ausstellung führten und so selbstverständlich von der Matrix sprachen als ginge es um ein künstliches Hüftgelenk, über meine Verwirrung zu informieren. Die Künstler und Kuratoren schienen mir hochintelligent und gleichzeitig sehr nahbar in ihrer digitalen Art und Weise. So hatten sie uns Journalisten von Anfang an geduzt ­ – schliesslich gehen einer KI unsere althergebrachten Umgangsformen am digitalen Allerwertesten vorbei.


Wir schwebten also durch die Matrix und da war ein leuchtender Punkt auf schwarzem Hintergrund in einem dunklen Raum, ein Raum in der Matrix versteht sich, natürlich, ein Punkt, der von aussen nach innen in zügiger Abfolge seine Farbe wechselte. Eine syrische Forschergruppe habe nun herausgefunden, berichtete der Künstler weiter, dass durch eine bestimmte Kombination von Farbabfolgen bei digitalen Geräten die Wahrnehmung verändert werden könne. Die Kommunikation mit dem eigenen Smartphone sei also nicht, wie bis anhin, nur mittels Algorithmen, sondern auf eine viel persönlichere Art und Weise möglich. Dies könne jedem einzelnen von uns helfen, sich an den Umgang mit anderen KIs zu gewöhnen, denn in einer künftigen Welt steht ein solcher künstlicher Kerl an jeder Hausecke. Und wir könnten uns in Achtsamkeit üben, etwas über uns selber lernen. Dass dieser Impuls gerade aus Syrien komme, müsse man nicht als Zufall hinnehmen. Ich fragte den Künstler nun nicht, ob diese Forschergruppe existiert. Denn ­ in Syrien herrscht doch Krieg. Analog und schmutzig, aber trotzdem. Haben die nicht anderes zu tun? Mir brummte der Kopf.


Zu guter Letzt kamen wir zu einem Stein, der auf seiner Oberseite abgeflacht war. Dieser Stein, sagte der Künstler und sah mich dabei wohlwollend an, sei real, vom Fluss nebenan. Ha, also doch, dachte ich triumphierend, es gibt einen Unterschied! Es sei überhaupt das Einzige, das hier wirklich real existiere. Aber der Stein sei zu Forschungen nach London gebracht worden, bei welchen die Wahrnehmung von Robotern trainiert werde. Denn: Wann ist ein Stein ein Stein? Wann ist er ein Stuhl? Oder wann ist er keines von beidem? Es sei entscheidend, den Roboter mit so vielen Möglichkeiten und Zwischenstufen wie möglich zu konfrontieren. Wann genau aber der Moment eintrete, bei welchem aus dem Ganzen mehr werde als die Summe seiner Teile, sei noch unklar. Der Stein wurde speziell für diese Ausstellung aus dem Fluss geholt und für die Forschung in London eingesetzt, denn dann verbinde sich nicht nur das Reale mit dem Irrealen, sondern auch das Internationale mit dem Lokalen. Er zwinkerte mir zu und sagte: Das wäre doch ein guter Aufhänger für dein Dorfblatt, oder?

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