Um als Autor am Leser zu scheitern, gibt es die erprobten Methoden, deren Juli Zäh in ihrem Roman Corpus Delicti sich befleissigt. Sie schreibt ihm nämlich vor auf Schritt und Tritt, was er zu denken und zu empfinden habe. Es ergeht ihm wie einem Schauspieler, dem eine Rolle keine Möglichkeit zur Gestaltung erlaubt. Jeder Gang ist ihm abgesteckt, jede eigene Gebärde verboten. Nichts darf er aus sich heraus tun, nicht einmal atmen.
So ein Leser soll man sein bei der Zeh. Muss denken und fühlen genau so wie sie. Nur ausschliesslich die Autorin wird da gegeben, und nicht Literatur.
Ein Dialog wie dieserart viele - die Protagonistin Mia, Rosentreter, ihr Anwalt, Kramer, ein Journalist, und die „ideale Geliebte“, eine von Mia imaginierte Figur:
> Die ideale Geliebte schnappt förmlich nach Luft. Neben ihr erhebt sich Rosentreter von der Couch und rückt seinen Anzug zurecht.
„Meine Mandantin hat nicht die Absicht, ...“
„Warum sollte ich?“, fragt Mia ruhig.
„Zur Verbesserung der Informationslage“, sagt Kramer freundlich und zeigt beim Grinsen die Zähne. „Oder einfach, damit ich mich nicht frage, warum Sie nicht von ihm erzählen wollen.“
Rosentreter ist herangekommen und versucht, eine breitschultrige Haltung einzunehmen.
„Sie haben nicht das geringste Recht, hier eine Befragung durchzuführen“, sagt er mit unnatürlich tiefer Stimme.
„Warum so verkrampft, Rosentreter?“ Gut gelaunt stösst sich Kramer von der Tischkante ab und beginnt einen Spaziergang im Raum. „Sie interessieren sich doch genauso für Moritz Holl.“ <
So geht das seitenlang für den verdatterten Leser, dem Anweisung über Anweisung zuteil wird, wie er sich noch das Hinterste und Letzte haargenau ausmalen soll. Eine platte Prosa ohne Witz und Leben fast über das ganze Buch.
Auf eine zweite Art scheitert am Leser ein Autor, der eine Stimmung nicht durchhält oder einen Gedanken; sich an einem Vergleich blamiert oder den Vergleich selbst blamiert; der hoch hinauswill, sich aufrafft mit Pickel und Seil, einen kleinen Fels zu erklimmen, aber den Tritt verliert und auf auf dem Hosenboden wieder hinunterrutscht. Freilich, einem Leser, der im Nebel stochert, bleibt die Sicht versperrt, drum kann er’s nicht beobachten.
> Mia hört keine Ouvertüren. Mia sieht Sturm. Weil die Straße nur von einer Seite beleuchtet ist, taumeln Baumschatten wie besoffen über die Fassaden der gegenüberliegenden Häuser und scheinen sich schwankend an den Händen zu halten. Der Wind fährt den Häusern in alle Ritzen, reitet auf offen stehenden Türen und blättert in Papierstößen auf Schreibtischen. <
schreibt die Zeh in einem seltenen Anflug von Fabulierlust. Jalousien klappern wie Kastagnetten, Schaukeln und Wippen schwingen im Wind, der sich mit den Planen eines Baugerüstes selber Beifall klatscht. Das ist amüsant und verspielt. Der Fall kommt mit dem Vorstoss ins Mahnende, vielleicht Gleichnishafte, man weiss es nicht recht:
> Auf den Dächern der Stadt rumort es, als hätten sich ein paar mächtige Wesen zum Kegeln verabredet. Gibt es noch Menschen? Der Sturm hat sie in ihre Häuser getrieben, wo sie in ihren Kammern zu schlafen versuchen wie eingesperrte Tiere in Kartons, mühsam den Lärm ignorierend, den die Natur veranstaltet; qualvoll realisierend, wie wenig sie bedeuten mit ihren kleinen, aufgeblähten Leben, während Stadt und Himmel beschließen, einen Pas de deux aufzuführen. Die Menschen sind keine Teilnehmer an diesem Spiel. Sie sind weniger als Zuschauer. Bestenfalls etwas wie trockene Blätter, beiseitegefegt und in den Rinnstein getrieben. <
„Gibt es noch Menschen?“ – mit dieser Volte ist alle Verspieltheit vertan, obwohl die Zeh sich immer noch müht. Aber was dafür erreicht? Etwas Läppisches, Täppisches hat die Heiterkeit erstickt und erstickt nun an sich selbst. Es lässt sich an der Sprache beweisen, dass ein Gedanke nicht bewältigt ist, an seiner Trivialität sowieso.
Kaum ist für einen Moment ein Aussichtspunkt erreicht, strauchelt die Zeh und fällt hinunter ins Sprachgehölz. Der Leser bleibt alleine zurück.
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