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AutorenbildCaspar Reimer

Versteck erster Klasse

Aktualisiert: 17. Juni 2021

Neulich war ich in Bern bei Freunden eingeladen. Nach einem langen Abend mit Wein und einem guten Essen machte ich mich gegen Mitternacht auf den Weg zum Bahnhof, um den Zug zurück nach Basel zu nehmen. Erst im Zugangsbereich zu den Gleisen kramte ich in meiner Tasche nach meinem Brillenetui, wo ich meine Corona-Maske aufzubewahren pflege. Zwar fand ich das Etui, doch die Maske darin fehlte – ich hatte sie bei den Freunden liegen lassen. Was sollte ich nun tun? Zurückkehren? Den letzten Zug würde ich verpassen. Und ohne Maske in den Wagen zu sitzen war zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr denkbar, denn das konnte wirklich Ärger geben. Auf dem Bahnsteig sah ich eine Gruppe Kondukteure, vielleicht haben die Masken dabei. Ich näherte mich ihnen, sie unterhielten sich gelassen. «Entschuldigung, ich habe meine Maske vergessen, sollte aber noch heute nach Basel zurückfahren. Haben Sie vielleicht welche dabei?» Die Männer lachten und wandten sich an mich: «Wo haben sie die Maske denn vergessen?» «Bei Freunden…..» «Dann gehen Sie sie doch holen. Wir warten mit dem Zug so lange.» Wieder lachten sie heiter, es herrschte offensichtlich gute Stimmung beim Zugpersonal. Dann kam einer aus der Gruppe auf mich zu und sagte mit französischem Akzent: «Sitzen Sie einfach in die erste Klasse, in den vordersten Wagen. Dort ist niemand.» «Einfach so, ohne Maske?» «Ja, einfach in den vordersten Wagen sitze. Keine Probleem, kann passiereen. Wir sind alle immer nog Menscheen.» So durfte ich mit dem Segen der Kondukteure in der ersten Klasse nach Basel fahren und die Viren im ganzen Wagen verteilen – dieser werde, wie mir der Schaffner versicherte, vor dem nächsten Einsatz speziell gründlich desinfiziert.

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