Manche Menschen müssen bis zum Äussersten gehen, um ihre Lebensgeister bei Laune zu halten. Wie ein Junkie den nächsten Schuss brauchen sie den Kitzel der Gefahr, die Herausforderung des Schicksals, die Konfrontation. Nur das gibt ihrem Leben Sinn und Rausch. Auch er gehört zu jenen Menschen, für die Gemütlichkeit in Gemeinschaft gemütlicher Menschen kaum auszuhalten ist. Erst reizt sie ihn, ruft widerspenstige Affekte und - wenn er sich nicht im Griff hat - sogar aufbrausende Ausfälle hervor, um ihn dann, hält die allgemeine Langeweile um ihn herum an, in einen Zustand eiserner Starre zu versetzen. Wer ihn anspricht, während er sich in dieser Phase befindet, darf keine Antwort erwarten, denn ist das, was ihn ausmacht, was fähig wäre zu reagieren und einen Satz zu formulieren, längst aus ihm entwichen. Wie ein seelenloser Zombie starrt er vor sich hin und lässt die Menschen um ihn verständnislos zurück.
Manchmal beneidet er gemütliche Menschen um ihre Gelassenheit, ihre Genügsamkeit gegenüber dem Leben, ihr Glück, das sie beim Giessen der Geranien, bei der Einrichtung der Wohnung oder bei ihren gelegentlichen Restaurantbesuchen empfinden. Davon ist er weit entfernt, benötigt er doch, um lustvoll seinem Leben zu frönen, die Reibung, den Widerstand, die stete Herausforderung. Nichts ist ihm mehr ein Gräuel als Konvention und abgeklatschte Harmonie, weshalb er etwa seiner Freundin verboten hat, ihn mit Schatz anzusprechen: Es widere ihn an, sagte er. Ihrem Wunsch nach gelangweilten Sonntagsbesuchen bei der Familie kommt er zwar nach, jedoch nicht ohne in regelmässigen Abständen spitzzüngig zu erwähnen, dass er diesen inhaltslosen Klatsch und Tratsch eigentlich nicht brauche. Ihren Bitten, bei diesen Gelegenheiten einen Blumenstrauss oder eine Schachtel Pralinen als Geschenk mitzubringen, verweigert er sich konsequent.
Von Zeit zu Zeit scheint ihm seine Rastlosigkeit wie ein Plagegeist, der ihn immer wieder anstupst, nicht zur Ruhe kommen lässt und insbesondere dann, wenn ein Mensch es schafft, seinen Widerstand zu brechen, empfindet er seinen eigenen Querkopf als lästig. Neulich, als er mit seiner Freundin auf eine Bergspitze pilgerte, und er ihr, die sicherlich gerne mit ihm über das schöne Sommerwetter getratscht hätte, während der Fahrt noch mit finsterer Mine die kalte Schulter zeigte, da war es passiert und er hatte entdeckt, dass da noch ein anderer Mensch in ihm lauerte, einer, der nach Harmonie und Geborgenheit lechzte.
Ob es die grandiose Aussicht über die Täler war, die laue Brise, welche die Spitzen der Berge streichelte, oder schlicht die Ermüdung, die Entspannung, welche einer längeren Phase der Starre folgt – jedenfalls spürte er, wie sich eine ganz simple Freude in ihm ausbreitete, in durchdrang, ja es kam ihm vor, als würde sie ihm einen Weg weisen, ein Fingerzeig in Richtung eines Ortes, an dem er ein viel vergnüglicheres Leben führen konnte. Diese wohlige Wärme veranlasste ihn, seinen Kopf der Geliebten, ja seinem Schatz zuzuwenden, sie überrascht über sich selbst anzusehen, und ihr einen dicken Kuss auf ihre schmalen Lippen zu drücken. Und in einem Schwall von Euphorie schaffte er es sogar, ihr zu sagen, wie sehr er sie liebe. Doch die Harmonie sollte nicht lange währen, denn er spürte schon wieder den Plagegeist an sein Oberstübchen klopfen.
Σχόλια