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AutorenbildCaspar Reimer

Sprache ist mehr als Botschaft

Neulich hatte ich ein Interview mit einer alten Frau geführt. 88 Jahre zählt die Dame, sie ist Journalistin, also eine Berufskollegin, und schreibt unermüdlich für Fachzeitschriften, Blogs und lokale Zeitungen. Nach dem Interview zur Sache tauschten wir uns darüber aus, was es mit dem Schreiben auf sich hat. Ich war erstaunt und fühlte mich verstanden, als sie mir erzählte, sie brauche heute länger für einen Text als je zuvor und das nicht etwa wegen einer Vergreisung des Gehirns, sondern schlicht der Ansprüche wegen, die sie an sich selbst stellt. Obwohl ich weniger als halb so alt bin wie sie, geht es mir auch so – bis ich mit einem Text fertig bin, können, jedenfalls im Vergleich zu früher, Äonen ins Land ziehen.

Als ich noch jünger war – und ich komme mir gerade jetzt, wo ich das schreibe, unglaublich alt vor – da lachte ich über diese Leute, solche Feingeister oder Dichter, die nur der Sprache wegen stundenlang an an einem Text herumbasteln, sich über die Reihenfolge von Wörtchen eine runzelige Stirn und einen rauchenden Kopf machen. Man könnte meinen, so dachte ich mir, es gäbe keine wichtigeren Dinge auf dieser Welt, nur die Botschaft, sie zählt!


Heute hingegen ärgere ich mich immer wieder und wie neulich darüber, wenn mir in einer Zeitung Sätze der Einfachheit und Effekthascherei wegen umgestaltet, sprich verunstaltet werden und ich formuliere in Passivform, weil ich Stress und Druck auf Redaktionen kenne und keine Kollegenschelte betreiben möchte. Und trotzdem ärgert es mich, weil die Art und Weise, wie Gedanken formuliert, welche Wörter verwendet werden, etwas in unseren Köpfen macht. Man kann mir vorwerfen, ich sei etwas zu sensibel, was wohl stimmen mag und sich bei Werbespots im Fernsehen zeigt, die ich nur unter grossem Leidensdruck und dem Gefühl, dass mir da gerade jemand in den Kopf scheisst, ansehen kann. Der Fäkalausdruck ist bewusst gewählt.


Von einem anderen Interviewpartner wurde ich vor ein paar Monaten darauf angesprochen, warum Menschen, die in Zeitungsartikeln zitiert werden, nur bei der ersten Erwähnung im Text mit dem vollen, in der Folge aber nur noch mit dem Familiennamen genannt werden – dies sei Kasernensprache, sagte er. Da hat er gewiss recht, auch wenn ich gerade in der politischen Berichterstattung davon abraten würde, Samthandschuhe überzuziehen, die Politik ist ein hartes Geschäft und Distanz oberstes Gebot. Trotzdem sagt dieses Beispiel etwas über unsere Umgangsgewohnheiten und über das, was sich Öffentlichkeit nennt, aus.


Keinesfalls möchte ich in die mühselige Leier einstimmen, früher sei alles besser gewesen, doch ist nicht zu übersehen, dass die schiere Menge an kurzen, stumpfsinnigen Botschaften über Twitter, Tik Tok, Instagram oder Facebook ein Mass erreicht hat, das ungesund sein muss, wenn man nichts anderes kennt, denn diese Posts lassen keinen eigenen Gedanken zu, weil beim Ende der letzten Botschaft, die man gleich wieder vergisst, sofort die nächste folgt, und das den ganzen Tag, von morgens bis abends und darüber hinweg. Wenn nun immer mehr Zeitungen sich genötigt fühlen, Botschaften möglichst trivial – und es geht nicht in erster Linie um die Länge das Satzes – zu formulieren, es sich zu eigen gemacht haben, entsteht das, was man journalistischen Einheitsbrei nennt – die vielfache Wiederholung von vielfach Gesagtem. Wenn ich heute länger an einem Text arbeite als früher, dann auch deswegen, um gängige Schablonen zu vermeiden, Argumente und Sachverhalte über die Sprache zu prüfen. Wie oft habe ich beim Formulieren eines Textes entdeckt, dass meine ursprüngliche Sicht auf das Thema reichlich unbedarft war. Das ist die Stärke der Sprache. Und diese sollten wir bewahren. Der Hektik des Alltags zum Trot.


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