In seinem „Versuch über das Leben der Künstler“ imaginiert Peter Sloterdijk seine Protagonisten als vor dreitausend Jahren hergekommen „aus schwülen Felsendörfern und bösen Marktflecken, wo die Feste verfallen sind und die Verwünschungen regieren“. Nein aber auch - Felsendörfer schwül, also stickig? Marktflecken böse und Feste verfallen? Haben wir es mit einem Sprachdrechsler zu tun, der vorsätzlich nicht den Nagel auf den Kopf, sondern den Daumen auf den Nagel trifft? Es scheint in der Tat so zu sein. Aber die Worte lassen sich nicht so mirnichtsdirnichts wider den Strich bürsten, schon garnicht, wenn man sich gescheit geben will. Gewiss finden sich Nebenbedeutungen der Sloterdijkschen Bezeichnungen, die man sich als einigermassen passend hinzudenken kann. Statt eher kühl und abgeschattet, wie man sie sich wohl gewöhnlich vorstellt, kann man sich Felsendörfer eng und beengend ausmalen, in diesem Sinne vielleicht schwül, die Marktflecken meinetwegen als moralisch verkommen, obwohl böse eigentlich auf Personen passt. Aber die verfallenen Feste und die regierenden Verwünschungen nehmen sich doch nur lächerlich aus. Die Bilder und Motive zu solchen Vorstellungen müssten erst erschaffen sein. Dazu bräuchte es anschaulich plausible Gedankenschritte und vorallem poetische Kraft. Was Sloterdijk betreibt, ist Sprachverhunzung.
Er schreibt, von den Hügeln herab leuchteten königliche und bürgerliche Blicke den erweiterten Weltraum aus. Geschenkt, dass ein bürgerlicher Blick sich reichlich unpathetisch, als wie aus dem Rahmen fallend anhört. Wie lässt sich aber der Weltraum vom Hügel herab ausleuchten? Wie füllt sich eine Geräumigkeit mit Städten? „Noch sind die Städte nicht erbaut, aber in den Augen der Menschen geht schon die Geräumigkeit auf, die sich mit Städten füllen wird.“ Es geht doch nicht die Geräumigkeit in den Augen der Menschen auf, sondern schon der Raum, der sich mit Städten füllen wird.
In ihren Visionen erscheint ein Menschentypus, den in das neue Größere heilend einzufügen alle Kräfte der Zukunft fordern wird. Die Flut der Besessenheit wird eingedämmt; die Bosheiten und Verzückungen des alten Landes erreichen die alten Höchstmarken nicht mehr.
Einen Menschentypus heilend einfügen, welch seelenpflegerisches Schnurren! Und dann gleich darauf die boulevardeske Flut der Besessenheit und die protzerischen Höchstmarken der Bosheiten und Verzückungen... ne nee, so kommt’s nicht gut mit dem Märchen von den Künstlern. Es passt einfach nichts zusammen.
Ein inneres Festland tritt dauerhaft hervor, auf dem Gedanken sich festsetzen wie erste Siedlungen an Flussübergängen. Dort können Städte, Erkenntnisse und Unternehmen wachsen. Bei den Tempeln sammelt sich ein spöttischer, unternehmender Menschenschlag, um Götter der Besonnenheit in ihnen zu verehren.
Er spürt die Sprache nicht. Er weiss nicht, was die Worte tragen. Er überdehnt die Metapher vom hervortretenden inneren Festland mit dem Zusatz, es trete dauerhaft hervor. Das ist nicht nur überflüssig, sondern schwächt das starke Bild des Hervortretens. Wohl glückt ihm der Übergang von den sich festsetzenden Gedanken zu den wachsenden Städten und Unternehmen, aber die Erkenntnisse wachsen doch nicht aus dem Boden hervor, als wären sie Pilze. Oder meint er, die Flussübergänge wüchsen auch im Kopf? Und wo verehrt gerade ein spöttischer Menschenschlag die Götter? Auch nur im Kopf. In Sloterdijks Kopf.
Man wird nicht klug aus dem Text. Dafür wird ihm das Göttliche klug. Ist die Atmosphäre der Polis „durchtränkt von der dauernden Anwesenheit einer Klugheit, die sich unter Bürgern wohlfühlt.“ Es wäre viel getan, wäre der Text selbst nicht von diesen dauernd anwesenden Klugheiten durchtränkt. Der Mensch schreibt kaum einen geraden Satz. Lässt sich denn von einer Nachbarschaft durchdrungen sein? Von einem Wettbewerb der Helligkeiten reden? Doch nicht einmal im Spott. Und weshalb soll etwas ständig geprüft werden, das sowieso der gemeinsamen Erörterung schon standhält?
Die täglichen Geschäfte sind ein Wettbewerb der Helligkeiten, die Reden und Gespräche eine ständige Prüfung dessen, was der gemeinsamen Erörterung standhält.
Das „Abenteuer der Andersgläubigkeit“, schreibt Sloterdijk, sei von den Priestern erst auf die Philosophen, dann auf die Künstler „übergegangen“. Was wäre das typisch Andersgläubige am Priester? In einem einzelnen Mann, nämlich Sokrates, feiere „eine Sehweise ihren Auftritt auf der Bühne der Ideen.“ Lächerliche Windungen. Sokarates ein „Kollege der Dämonen“, der sich „in der Gegend der letzten Ursachen bewegt.“ Das ist schwülstig und gespreizt. Ob man an den Inhalt glauben soll, den er auf diese Weise kolportiert? An den „kritischen Moment in der Weltrevolution der Seele“, der ihm mit Sokrates‘ Ausspruch - glauben wie kein anderer - und dessen Wette „auf die offene Weite des Versuchens“ gegeben scheint? An die Dissidenz als Element der städtischen Art, klug zu sein? Mehr noch: an die Dissidenz als den Ort, wo die städtische Art, klug zu sein, bei sich ist? Wenn die Stadt einmal „der Ort der Entscheidung über ungleiche Schicksalslose ist“ und sich doch gleich wieder „unter dem Standrecht der Antworten“ die Geister scheiden und - die Schicksale. Was für ein Wirrwarr. Und was für eine aufgeplusterte Sprache! „Menschliche Tatsachen“, die „in keine einheitliche Aussage mehr passen“. Festgestellte Wesen, die von sich selber reden! Ins Handgemenge mit den Stoffen und Leiden geraten! Die Bewegungen der Klugheit, die veröffentlichte Unfassbarkeit, Zeichen, die aus der Gegend der Gründe kommen. Und all des schwachsinnigen Popanzes noch viel mehr.
Bei Thomas von Aquin, schreibt Sloterdijk, seien die Engel nicht wie körperhafte Wesen im Raum, sondern erzeugten den Raum aus sich selber und belebten ihn und leuchteten ihn aus mit ihrem Wesen. Man hat den Eindruck, Sloterdijks Sprache erzeuge auch einen Raum aus sich selber, den sie mit ihrem Wesen ausleuchtet. Belebt ist er allerdings nicht. Er ist nur leer.
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