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Daniel Costantino

Selbstgespräche

Bestimmt führt jeder Mensch Selbstgespräche, ich kann mir das gar nicht anders vorstellen. Wahrscheinlich rührt es daher, dass einem dauernd irgendwelcher Text im Kopf herumschwirrt. Etwa so, wie Fliegen um den Kopf einer Kuh, nur eben innerhalb. Man kann sich gar nicht wehren. Durchs ganze Leben ist einem der Kopf eine einzige insgeheime Brabbelei. Jedenfalls mir geht es so. Das Beste ist, das Geschmeiss nicht zu beachten. Sonst fängt man selber auch noch an zu brabbeln. Tagsdurch bei der Arbeit gelingt mir das noch einigermassen, da muss ich mich konzentrieren und kann mit dem Kopf nicht überall sein. Und ausserdem arbeite ich in einem Team. Da fluch ich höchstens mal ein bisschen, wenn grad keiner da ist. Das ist schon eine erste Form des Selbstgesprächs. Seine Urform vielleicht.


Wenn ich dann abends mit mir alleine bin und mich eigentlich auf dem Sofa ausstrecken möchte, geht’s erst recht los, kunterbunt, alles durcheinander. Vom Hundertsten ins Tausendste kommt mir lauter irgendwelches Zeugs in den Sinn. Ein Drängler, der mir den Platz im Tram vor der Nase wegschnappt und den ich lächelnd mit einem „auch Sie kommen noch einmal früh genug in den Himmel“ anrede, mitten in meiner Wohnung. Sowas müsste mir mal im richtigen Leben einfallen. Oder ich spreche mir einen Witz vor und setze sogar noch eine Pointe drauf, als sässe ich bei meiner Donnerstagsrunde am Stamm. Dann schlage ich auf dem Sofa eine Zeitschrift auf, und schon fällt mir ein Kochrezept ein. Ich höre es mich laut aufsagen, höre mir gut zu, damit ich es ja nicht vergesse. Manchmal erklingen auch plötzlich ein paar Fetzen von einem Schlager in meinem Schädel, aber wenn ich einstimmen will, weiss ich nur noch trallalla.


Sogar Selenski hat sich einmal gemeldet, ich war eben ein bisschen eingenickt. Allerdings nicht per Videoschaltung, sondern als kleiner kugeliger Himmelskörper, der direkt vom Balkon in meine Stube rauschte und sich erst da zu voller Grösse streckte und hochstilisierte. In seinem typischen Militärpullover. Dem hab ich aber schön die Meinung gegeigt, mitten in meiner Privatsphäre einzuschlagen! Bestimmt haben’s alle meine Nachbarn mitbekommen. Sollen sie, das ist mir völlig egal. Man kommt sich ja langsam vor wie eine Randfigur im eigenen Leben!


Je älter ich werde, desto grösser wird mein Verlangen, meine Selbstgespräche auch in der Öffentlichkeit zu führen. Und zwar ganz unverklemmt. Mindestens will ich mich selber hören können dabei und nicht immer nur den stummen Fisch im Tümpel geben. Ist nicht ganz einfach, muss ich gestehen. Wenn die Leute sich nach mir umdrehen oder nasebohrende Kinder mich anstarren, krieg ich immer noch einen Schrecken. Ich steh einfach noch nicht ganz über der Sache. Eine Zeitlang bin ich deshalb mit einem deaktivierten Headset in der Stadt herumgelaufen und habe so getan, als würde ich laut telefonieren. Das hat dann keinen mehr gestört. Doch inzwischen lass ich das wieder bleiben. Es hatte doch immer etwas von dem Vorsatz, mit jemandem ein ernstes Wort zu reden. Kaum ist der grosse Augenblick da, bringt man nichts Rechtes heraus.


Nein, auf Kommando funktionieren Selbstgespräche nicht. Sie müssen spontan kommen, aus dem Bauch heraus. Seit ich mein Headset weggeschmissen habe, geh ich da ganz neue Wege. Ich lese nämlich wahnsinnig gern historische Romane, besonders solche mit vielen Dialogen. Nun bin ich draufgekommen, mich in die Gespräche einzumischen und mit den historischen Figuren selbst zu unterhalten, mit all den Grössen der Weltgeschichte. Man stellt sich nicht vor, wie charmant einer wie Bismarck unter vier Augen sein kann und wie glockenhell er manchmal lacht. Oder die Johanna von Orléans, die Jeanne d’Arc: welch aussergewöhnliche, lebenskluge junge Frau! Das ist schon was anderes, als in der Küche mit einer Dose Tomatenpüree zu diskutieren, die sich nicht öffnen lässt.


Ich weiss, es ist verrückt, aber es macht mir unheimlich Spass, auch in die andere Rolle zu schlüpfen. Ich habe schon geübt, wie die Konferenz von Jalta ausgeht, wenn ich als Churchill dabei bin. Obwohl ich gar kein richtiges Englisch kann. Zuweilen mach ich aber auch zeitgenössiche Rollen, Kleinkunst sozusagen. Hab ich erst neulich selber gemerkt. Ich sitze wie so oft im Tram und lese in einer der Zeitungen, die dort zufällig herumliegen, einen Artikel über Cassis' Besuch bei Di Maio in Mailand, als ein Billetkontrolleur auf mich zukommt und meine Fahrkarte sehen will. In meinem Dusel steh ich doch tatsächlich auf, umarme ihn freundschaftlich und lege ihm mein abgelaufenes Abo in die Hand: „Es spielt keine Rolle, aber es ist hässlich, eine Busse zu zahlen!″


Und was hat der Mann getan? Der hat übers ganze Gesicht gelacht, einen Filzstift aus seinem Hosensack geklaubt und mein abgelaufenes Abo mit einem prächtigen Peace-Zeichen übermalt. Dann hat er mir’s zurückgegeben, einen schönen Tag gewünscht und ist in bester Laune aus dem Tram gestiegen.


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