Neulich hatte ich eine Klemmschwester massiert. Zur Information an alle Normalos und Einfachgestrickten: Unter Klemmschwester wird in der Gaycommunity ein Mann verstanden, der zwar homosexuelle Fantasien hat, diese gewiss ausleben möchte, sich deshalb gelegentlich einen jungen Mann gegen ein Entgelt in die vollverschleierte und abgedunkelte Wohnung kommen lässt, aber unter keinen Umständen irgendetwas mit Schwulen oder deren Milieu zu tun haben will – vorher würde er sich den Taliban oder der katholischen Kirche zum Frass hinwerfen.
Er sei auf Diskretion angewiesen, schreib die Klemmschwester mir, wobei ich mich fragte, ob er da nicht etwas verwechselte, denn ich – notabene ausgebildeter medizinischer Masseur, der seine Praxis mit heterosexuellen Ärztinnen und Therapeuten teilt – hatte mein Inserat zwar auf einer Gesundheitsplattform für schwule Männer veröffentlicht, aber in der Annonce war ganz klar und schwarz auf weiss geschrieben, dass es sich um eine medizinische Massage handelt – ohne Happyend, ohne Feuerwerk oder andere Turnübungen! Es brodelte in mir bereits und ich konnte nicht anders, als ihm zu schreiben, wen es denn bitte interessieren solle, dass er zu einem Mann in die Massage gehe? Er wolle es nur gesagt haben, schrieb er. Und seinen Namen, den wollte er mir nicht sagen, stattdessen schreib er mit unentwegt WhatsApp-Nachrichten – denn eine massierende Schwuchtel, die hat ja Zeit – und fragte mich, ob wir denn in der Praxis alleine wären, ob dies garantiert sei und ob ihn denn jemand sehen könne, wenn er das Gebäude beträte. Ich antwortete ihm, dass es sich um eine Gemeinschaftspraxis handle, in der jeden Tag Menschen ein- und ausgehen. Was für Leute das seien, wollte er wissen und ich schrieb ihm: meistens Frauen, verheiratete, heterosexuelle Frauen. Das schien ihn zu beruhigen und wir vereinbarten einen Termin.
Mit einer Mischung aus abschätzigem Trotz und Arroganz empfing ich also die Klemmschwester zur Massage und er war nervös, aber auch sichtlich überrascht, als er mich sah – ich muss entgegen seiner Vorstellung unglaublich normal ausgesehen haben. Und er hatte noch mehr Glück: Wir waren alleine. Als er sich da auf die Massagebank legte, wusste ich, dass eine Abrechnung folgen würde, ein Wutausbruch gegen seine Heimlichtuerei, gegen seine Rückgratlosigkeit, denn wo wären die schwulen Männer – alle anderen Gruppen lasse ich jetzt mal aussen vor – wo wären sie heute, wenn sie nicht den steinigen Weg der Emanzipation gegangen wären, wenn alle so gewesen wären wie er, dieser Lappen auf meinem Behandlungstisch. Und es war auch eine Rache für die Verletzung, die er mir und meiner Sache zufügte, indem er mich, wäre es drauf angekommen, im Kleiderschrank versteckt hätte. Deshalb war das, was nun kam, keine Massage, sondern ein körperlicher Angriff auf seine Verklemmung, den er aber sichtlich, je länger desto mehr und unter wohligem Stöhnen zu geniessen schien – er möge es gerne hart, hatte er mir geschrieben und das war mir sehr recht. Mit grösstmöglicher Kraft stiess ich meine Ellbogen zwischen seine Schulterblätter, drückte mir fast dem Daumen weg, als ich seinen Erector spinae mit Friktionen bearbeitete und den Musculus trapezius mit starken Stössen in den Zustand der Entspannung beförderte. Dabei drang ich tief in die Verkrampfungen seiner Seele vor und fühlte mich aufgrund meiner Erfahrung als schwuler Mann, aufgrund des Mutes, den viele bereits verstorbene Gleichgesinnte aufbringen mussten, unglaublich überlegen – das sollte er zu spüren bekommen.
Am Ende der Massage begann er dann, anzügliche Bewegungen zu machen, auf die ich nicht reagierte. Auch das steht übrigens charakteristisch für Klemmschwestern: Sie meinen, ein schwuler Mann könne gar nicht anders, ja habe überhaupt in seinem Leben nichts anderes zu tun, als jeden X-beliebigen Kerl – und sei er noch so hässlich – zu besteigen. Ein grosser Irrtum. Ein Grund, für die Homo-Ehe zu stimmen, wäre nicht diese an sich, denn wie man weiss, kann der Heilige Bund selber zu einer Klemme werden. Aber es wäre ein Statement gegen die Verklemmung. Gegen die Klemmschwestern. Und auch gegen Homophobie.
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