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AutorenbildCaspar Reimer

Schnee 3 (Fragment)

Man wies ihn an, im Wartezimmer Platz zu nehmen. Er war allein und spürte Dankbarkeit, rechtzeitig im Amt angekommen zu sein. Stühle aus billigem Kunststoff, ein Tischlein zu unkenntlicher Farbe vergilbt, Broschüren zum Zeitvertreib hingeworfen, eine Neonröhre an der Decke flackerte weltvergessen – es schien, als hätte das Amt versäumt, den fensterlosen Raum einzurichten, oder sei, was realistischer schien, angehalten worden, beim Mobiliar zu sparen. Dieser Gedanke verletzte ihn, er blickte an sich hinunter wie fremd, sah auf seine Schuhe, die ihm hässlich schienen. Die Neonröhre blitzte ab und auf, er dachte an den Harlekin, der ihn neulich an der Fasnacht vorgeführt hatte. Hey. Lenzburg. Wochenzeitung. Die Erinnerung haftete sich an die Schäbigkeit des Raumes, schien ihn plötzlich zu bewohnen und er stellte sich die Frage: War es möglich, dass das Amt den Raum einzig allein seinetwegen schäbig eingerichtet hatte? Eine Stimme spottete noch ob seiner eigenen Spinnerei, doch die Schrecken der letzten Tage säuselten vom Gegenteil. Aber natürlich, sicherlich ergab es Sinn: Man wusste, dass er kommen würde und scheinbar war er der Einzige. Wer weiss – und er spürte beim Gedanken sein Herz schlagen – vielleicht handelte es sich nicht um das eigentliche Wartezimmer, sondern um die Besenkammer, die man notdürftig für ihn eingerichtet hatte. Um ihm den Platz zuzuweisen, den er verdient hatte. Die Häme, die ihm in die Tage zog, schien sich ins Öffentliche zu dehnen, in Amtsstuben, vielleicht und gar bis in die höchsten Stellen vorzudringen. Was ein Teil seiner selbst gewünscht hatte, schien zu geschehen. Dabei gab es keinen Zweifel, dass dies einzig und allein seine Schuld war. Wieder blieb sein Blick auf den Schuhen haften, blieb dort liegen, als böten sie Schutz vor dem, was weiter geschehen würde. Ob es möglich wäre, neue Schuhe zu kaufen. Um den Lauf der Dinge, die er in Gang gesetzt hatte, zu verändern? Er ermüdete, ermattete, die Gedanken ebbten ab, die Zeit schien ihn zu vergessen. Das Licht ging aus und er döste ein.

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