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AutorenbildCaspar Reimer

Robert Menasse und der europäische Nazi

Aktualisiert: 17. Juni 2021

In seinem Buch «Die Hauptstadt», vor drei Jahren als bester deutschsprachiger Roman ausgezeichnet, schreibt Robert Menasse über «Die Arche», eine Abteilung innerhalb der Europäischen Kommission, deren Feinde die Nationalstaaten sind. Denn die Nation als solches, aber ganz besonders der Nationalismus, der wie eine Fontäne giftiger Galle aus Berlin, Paris, Prag, Madrid oder irgendeiner anderen Hauptstadt in den europäischen Himmel und Richtung Brüssel schiesst, dieser Nationalismus ist die grösste Gefahr für das europäische Einigungsprojekt. Denn dieses Projekt, erzählt Menasse in einem Interview mit dem österreichischen Magazin «Kultur», sei  etwas «historisch völlig Neues, als politisches Projekt geradezu eine Revolution. Zum ersten Mal in der Geschichte werden die Rahmenbedingungen des Lebens eines ganzen Kontinents in einer Stadt produziert.» Welche Rahmenbedingungen er meint, bleibt er dem interessierten Leser schuldig – ist es Krümmung der Gurken, das Tarifsystem im öffentlichen Verkehr, Regelungen bei In- und Export von Pestiziden oder gar Waffen?  Jedenfalls muss sich dieses Europa immer wieder gegen rückwärts gewandte Reflexe, also Nationalismen, verteidigen und genau dafür sorgt eben diese Arche in Menasses Roman: «Die Arche ist das Schiff, das über alle Stürme und Fluten das Grundsätzliche zu retten versucht», erzählt er. Gerettet werden muss denn auch nichts weniger als die europäische Zivilisation an sich, sie muss ins Trockene gebracht werden, in sicheren Abstand vor den zupackenden Klauen der Nationalisten in den Hauptstädten.  Denn die Nation sei ein ideologisches Konstrukt, was sich darin offenbare, dass er als Wiener  aus Sichtweise der Nationalisten mit einem Almbewohner aus Vorarlberg mehr Gemeinsamkeiten haben soll, als mit einem Städter aus Bratislava, vierzig Minuten von Wien entfernt. Doch wird dieses ideologische Konstrukt von manchen noch immer behütet wie eine heilige Kuh. Geschützt vor jenen Politikern, die nur national gewählt werden und deshalb «diese Fiktion einer Nation», wie Menasse es weiter sagt, aufrecht erhalten müssen, obwohl die dringlichen Probleme der Menschen längst transnational sind.

Was Menasse vorschwebt ist eine Europäische Kommission, eine Art Kontinentalregierung, deren Mitglieder, Abgeordnete oder Vertreter bar jedes Nationaldenkens sind, ausgestattet mit einem Auschwitz-Trigger, der immer dann anzeigt, wenn die alte, üble Nazisuppe zu köcheln beginnt. Denn, so Menasse locker übersetzt, Nationalismus endet immer in Auschwitz. «Nie  wieder Auschwitz kann nur bedeuten: Überwindung des Nationalismus!» Um seine  –  sagen wir dem mal Konstruktion – zu unterfüttern, verlegt er die Antrittsrede des ersten EWG-Kommissionspräsidenten Walter Hallstein kurzerhand nach Auschwitz. Der nämlich soll dort gesagt haben: «Dieser Ort, das Vernichtungslager Auschwitz, ist zur Chiffre für die radikalste Konsequenz des Nationalismus geworden. (…) Hier lebten alle im Schatten desselben Todes und hier vereinte alle derselbe Traum: ein Leben auf diesem Kontinent in Rechtssicherheit, Friede und Würde.» Ja, für die armen Teufel im KZ wars wohl dann zu spät, doch immerhin dürfen sie – quasi aus dem Jenseits – in Menasses Roman als makabere Maskottchen für das europäische Projekt werben. Ein Europa der Menschenrechte, bewohnt vom Edelsten, was die Menschheit zu bieten hat, mit moralischem Kompass im Knochenmark. An die Adresse ganz anders gearteter Europäer, nämlich der Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes, kurz PEGIDA, schreibt Menasse: «Es wird sich bald entscheiden müssen, welcher Typus Europäer die Zukunft bestimmt: der universale oder eidimensionale Europäer.» Aber gerade da bekommt sein Narrativ Risse: Europäer und Nazi – das geht also auch zusammen, zwar eindimensional, aber doch Europäer, und wie sogar – Europäer, Christen, Abendländer mit Glatze und Springerstiefeln.  

Und zudem: Gäbe es diese «Arche», diesen moralischen, gegen Auschwitz und Richtung Rechtssicherheit, Friede und Würde gerichteten Kompass, wäre die Europäische Union heute nicht eine andere, als jene, die sich Menasse  hier erträumt? Müsste dann, was nach innen gilt, nicht auch nach aussen gelten? Etwa für den Flüchtling, der im Mittelmeer ersäuft oder in einem Lager auf Lesbos wartet – von Rechtssicherheit, Friede und Würde träumt, wie seine Kollegen damals im KZ? Und von welcher europäischen Zivilisation redet Menasse? Vom christlichen Abendland? Oder wiedervereinten Europa? Vereint gegen die Kommunisten, die gelbe Gefahr aus dem Osten und überhaupt?

Diese supranationale Organisation, die EU nach Menasse, müsste bar sein jeglicher Ideologie, jeglichen Überbaus, also eigentlich eine furztrockene Angelegenheit. Und die Politiker, welche in diesem Europa die Entscheidungen treffen, debattieren, abwägen, die müssten aus einem anderen Holz geschnitzt sein als ihre Kollegen in den nationalen Regierungen. Den Nationalismus mit der Brechstange den Leute aus dem Kopf schlagen, um dann ein europäisches Zeltdach, versehen mit leuchtenden gelben Sternen, über alle diese Europäerinnen und Europäer zu spannen. Und wenn man nur lange genug predigt, verschwindet der eindimensionale Almbewohner als Vorarlberg, gewiss auch Europäer, aber eben eindimensional. Und an seine Stelle tritt der Fortschritt.

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