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AutorenbildCaspar Reimer

Nutzlose Provokationen

Aktualisiert: 15. Juli 2021

Ich arbeite im Büro, wo nichts passiert. Das ist bekannt. Und müsste eigentlich auch niemanden interessieren. Wirklich erstaunlich ist jedoch, dass es nicht nur nichts zu tun gibt, sondern jedes Geschehnis sofort im Nichts verpufft, ohne Folge bleibt, quasi im Vakuum verstummt. Es ist einzig scheinbares Nichtstun und banales Existieren, das zählt. Da ich, während ich still und bewegungslos vor dem Computer sitze und meinen Blick in die Tiefen des Bildschirms gleiten lasse, viel Zeit habe, nachzudenken – Nichtstun ist bekanntlich eine Quelle der Inspiration – kommen mir Ideen, was ich alles tun könnte, um eine Reaktion herauszufordern.

Ich hatte Verschiedenes unternommen, mir bei der Arbeit die Zehennägel geschnitten, bis sie nicht mehr da waren, oder die Augenwimpern zurechtgestutzt, bis die Poren blutig wurden, ja ich unternahm Wanderungen zur Toilette mit raffinierten Umwegen – passende Schuhe und Rucksack hatte ich mitgenommen –, vertilgte auf halbem Weg dorthin eine Banane und ein kleines Stück Schweizer Schokolade auf der Ablage des Druckers, um dann auf der Toilette meine Brille viel länger als nötig zu putzen. Anfänglich verspürte ich dabei einen Kitzel, wie ein pubertierender Junge, der sehen will, wann es genug ist, denn ich dachte, dass irgendwann der Moment kommen müsse, an dem mir Einhalt geboten wird, Sanktionen drohen, ja überhaupt irgendjemand in diesem gottverlassenen Büro zum Leben erwacht. Ich hätte auch laut schreien können – doch nichts geschah. Gar nichts. Im Gegenteil: Je mehr ich solche Aktionen durchführte, desto stärker wurde das Nichts, undurchdringlich, als wäre es in jedem Molekül dieses Ortes festgeschrieben, ja selbst im Toilettenpapier oder in der Kaffeemaschine, die beide nichts taugten.

Später kam mir die Idee, auf dem grosszügigen Fenstersims neben meinem Bürotisch einen kleinen Zoo zu installieren. Als erstes Tierchen wollte ich meine Katze – ein putziges Wesen mit glattem, schwarzen Fall und grossen goldleuchtenden Augen – von Zuhause mitnehmen. Doch das Vorhaben scheiterte, denn je näher ich – in der linken Hand das Katzenkörbchen, in der rechten die Bürotasche – dem Gebäude, das mich jeden Morgen empfing wie der Schlund einer zahnlosen Bestie, je näher ich also meinem Ziel kam, desto lauter und verzweifelter begann die Katze zu miauen. Und nicht nur das: Plötzlich zitterte sie am ganzen Leibe. Ihre Angst musste riesig sein. So erging es auch anderen Tieren, wie etwa den Hühnern meiner Schwester, die ich zur Arbeit mitnehmen wollte und wozu ich ein mobiles Gehege auf Rädern gekauft hatte, doch die Vögel begannen zu gackern und mit ihrem Gefieder wild um sich zu schlagen. Jedes Mal musste ich die Aktion abbrechen. Es gab also nichts, was in diesem Büro hätte eine Veränderung herbeiführen können. Entweder scheiterte das Vorhaben, bevor es begonnen hatte oder meine Aktion schien niemanden zu interessieren.

Und der Kitzel wich der Frustration und ich beschloss, Freunde an meinen Arbeitsplatz einzuladen, auch einen jungen Kollegen, Martin heisst er, von dem ich wusste, das er einen Ghettoblaster hatte, er solle ihn mitbringen, wobei eigentlich Musik vom Smartphone gereicht hätte, aber ich wollte auch mit der grossen Kiste auffahren, Knabbergebäck und Bier würde ich bereitstellen. Da kamen sie also, die Schar Freunde und Kollegen, die ich von irgendwoher lose kannte und über Facebook zusammengetrommelt hatte, den einen oder anderen sogar gegen ein kleines Entgelt. Wir setzten uns gemütlich um meinen Bürotisch, tranken Bier, hörten Musik und je länger wir dies taten, desto deutlicher wurde es und ich verspürte ähnlich einem Weinkrampf eine schlimme Übelkeit, die von mir Besitz ergriff und ich wurde gewahr, dass auch jetzt nichts passieren würde. Überhaupt nichts. Einzig mein Chef bat uns, als er wie ein unsichtbarer Geist vorbeiging, wir möchten doch die Musik etwas leiser stellen, er müsse sich aufs Nichtstun konzentrieren. Dann hielt er kurz inne, lächelte dümmlich mit einem Schuss Verwegenheit in den Augen und sagte, es gebe im nächsten Monat eine kleine Gehaltserhöhung. Dann verschwand er und tiefe Erkenntnis schnürte mir die Kehle zu. Während meine Freunde da so lachten und mir auf die Schulter klopften – was für ein Kerl, dein Chef, so einen hätte ich auch gerne – manifestierte sich bei mir die Gewissheit, dass ich dafür bezahlt werde, damit ich tunlichst so bleibe wie die Pfeifen neben mir sind, ja immer sein würden. Ich ging kurz auf die Toilette, versuchte da noch, mir einen weiteren Schritt auszumalen, eine Möglichkeit, eine Provokation, auf die ich noch nicht gekommen war, doch es war vergebene Liebesmüh. Ich musste einsehen, dass es nichts gab, was mich aus der gut betuchten Langeweile hätte retten können. Wenigstens nicht an diesem Tag, ich war ausgeschossen. Dann nahm ich eine grosse Flasche Gin hervor, setzte mich zu den Kollegen und betrank mich vorsätzlich.


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