So lautet eine Themenreihe auf deutschlandfunk.de. Für die Autorin Mithu Sanyal scheint die Frage eindeutig geklärt: Sie ist es sowieso. Aber Sanyal sagt es schöner, indem sie die Literatur Kunst nennt. Kunst sei, wie das Leben, immer politisch. Damit schlägt sie zwei Fliegen auf einen Streich und erklärt die Literatur per se zur Kunst. Literatur ist Kunst, und sie ist politisch. Aber erst zum Politischen der Literatur.
Sanyal will keinen Unterschied zwischen politischer und unpolitischer Literatur machen. Eine Literatur sei entweder bewusst oder „einfach nur so″ politisch, man merke ihr in diesem Falle bloss nicht an, dass „ihre Ästhetik und ihre Inhalte politischen Parametern folgen.″ Denn Politik sei eine weder aus dem Leben noch aus Geschichten wegzudenkende Dimension. Die Liebesgeschichte eines heterosexuellen Paares mit deutschem Pass zu erzählen, folge ebenso einer politischen Entscheidung, wie die Story an einem Paar mit unklarem Aufenthaltsstatus abzuhandeln; es falle halt nur eine dieser beiden Entscheidungen überhaupt auf. Ob Texte als politsch wahrgenommen würden, sagt Sanyal, habe mit den politischen Verhältnissen deutlich mehr zu tun als mit ihren Autoren. Autor*innen, schreibt sie allerdings explizit, damit der Leser auch immer schön etwas merke.
Ja der Daus. Man schaue kleinen Kindern zu, wie sie einen Begriff entdecken, zum Beispiel „Loch!″ und mit genialer Fantasie an hundert Orten ein Loch aufspüren, wo ein dumpfer Erwachsener längst nichts dergleichen mehr sieht. Wenn uns ein Licht aufgeht, entdecken wir in seinem Glanze die Welt ganz neu, so sind wir beschaffen. Der menschliche Geist kann sich auf eine Sache so stark fokussieren, dass er alles andere darüber vergisst. Wenn aber jede Literatur politische Literatur sein, alle Ästhetik politischen Parametern folgen soll, wenn das Politische aus dem Leben selbst nirgends wegzudenken wäre, wäre genausogut jeder Hund und jeder Traum und jeder Wegweiser im hintersten Wäldchen politisch. Es würde den Abgeordneten nichts von der Bananenschale und den Freisinn nichts von der Eisdiele unterscheiden. Ist alle Literatur politisch, ist alles politisch auf der Welt und am Ende garnichts mehr. Dann kann man sich über Politik und Politisches nicht mehr unterhalten, das Wort hat seinen Sinn vollkommen verloren.
Sprache ist ein Allgemeingut, die Abweichung vom allgemeinen Sprachgebrauch bedarf eines Motivs, eines besonderen Blickwinkels, einer denkerischen oder poetischen Kraft, die sie für die Allgemeinheit einleuchtend, in einer Geschichte glaubhaft macht. Das muss erst geschaffen, erschaffen sein, sonst kann das vielleicht neu Gesehene nicht überzeugen und bleibt denkfaule Behauptung. Den Protagonisten einer Liebesgeschichte mit Fleiss einen bestimmten Aufenthaltsstatus umzuhängen, kann nichts damit zu tun haben, ob die Geschichte die Atmosphäre einer Liebesgeschichte auch entfaltet. Wer einen literarischen Text mit Bekehrungscharakter schreibt, muss, wie etwa Gotthelf in seiner schwarzen Spinne, schon verdammt gut schreiben können, ein Dichter sein, damit ihm die Sache nicht zu einem bornierten Machwerk gerät. Dichter sind aber dünn gesät. In den meisten andern Fällen gilt Ciorans Diktum: Sendungen ersticken den Gesang.
Dichtung und Gesang; Kunst. Mithu Sanyal erklärt die Literatur ganz selbstverständlich zur Kunst. Damit ist jeder Literaturkritik der Boden entzogen, wenn allen Stümpern und Kitschern noch „Kunst!″ zugerufen statt über sie gelacht werden darf. Es kommen mir nicht so schnell ein oder zwei Dutzend zeitgenössische Repräsentanten deutscher Literatur in den Sinn, von welchen ich behaupten würde, sie schüfen Kunst. Aber Sanyal ist nicht die Einzige, die so denkt. Es ist schon von ganz anderen Kräften die deutsche Sprache an sich zur Kunst erhoben worden:
> Die deutsche Sprache ist prägend für die deutsche Identität und ein zentrales Integrationsmittel unserer Gesellschaft. Sie ist schon seit dem Mittelalter eine der bedeutendsten Literatursprachen Europas und damit nicht nur Mittel zur Verständigung, sondern wahre Kunst. <
Das hat 2013 die Bundestagsfraktion der CDU/CSU festgestellt und pro domo eigentlich noch viel schöner gesprochen als die Autorin Sanyal. Fariaho! Die Literaten sind zu politischen Agitatoren herabgesunken, die wahren Künstler der deutschen Sprache aber sitzen im deutschen Parlament.
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