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Daniel Costantino

Morgenrausch

Als es Tag werden will und alles noch schläft, passt er den Worten ab, die hinter Türen und Wänden hervor schon den Grossvater gepiesackt Zeit seines Lebens, kleine und grosse, vom Himmel versprochen, durch die Decke geflüstert, gerieselt, nie hat er gewusst, wie ihm geschah; nun sie sich einfinden schlaftrunken, gedrechselt, mit hängenden Flügeln, fällt er sie an, verdreht ihnen den Kopf, die sich gleich plustern, zu Bündeln verflechten, ganzen Kandideln aus Lessing, bläst ihnen den Spuk aus zu Dutzend und Hundert, dass sie verhauchen grad wieder, zerknittern, und steckt sie in die Tasche, die ist gesponnen aus Garn. Dann schleicht er zum Schuppen, da sind sie nichts mehr als Hülsen, ein Sack leeres Stroh ritscheratsch unter den Sattel des Fahrrads gestopft, sitzt ihnen auf und radelt, im Frühtau ein Morgenschatten, den Sonnenstrahlen entgegen, die ihren Reigen tanzen über den Hügeln und Kabeln der Stadt. Die nackten Beine spürt er im Wind und ein Glück im Leib wie ein Kind, das jauchzend der Mutter davonrennt.

Längs des Weges Abfallgestrünk, schiefe Container, Schalen von Baumrinden, das Quartier noch brach in die Seitenstrassen gewellt, Spaziergängerschneisen, vermergeltes Blättergeweih, Strommasten im Zwielicht; hinter Kasernen wildes Kraut und ein Panzerdepot, rissiger Raupenacker, das schwarze Fett schmeckt von der Erde weg. An einem Steinhaufen streichen die Bodenschatten die Segel, wie im Fluss gesprenkelter Schiefer fliessen durchs Sonnenlicht seine geschichteten Platten.

Und da denkt er, unter dem Sattel die Hülsen – wenn jetzt etwas käme und ihn mitnähme, so fielen die Hülsen vom Rad und leerten sich aus und zerbrächen; und Zeichen geschähe vom gesprenkelten Schiefer, sie beseelten sich neu, trügen Federn davon und Floskeln, die im schönen Glanz des Haufens erstünden, das wäre ein Spass; seinen Weg mit nichts als toten Phrasen gepflastert, die aber, als wäre ihnen kein Tod gewesen, rauschten zur Sonne, zur Freiheit hinan und liessen sich in der weiten Welt wieder nieder, wo es ihnen krächzend gefiel; während sein eigenes Gebein, mitsamt dem Rad der güldenen Aurora hingestreckt, zu Schimmel und Erde verging.

Und ein Rufen von der Vogelweide, ein Gatter schletzt, dann piepmatzt der Wecker, ‘s ist sechs; es hat nur die Vogelweide ein paar frühe Grillen gefangen. Vor seinem Stall ein Bauer, er winkt ihm zum Abschied gutfreund. Und erledigt den Wecker.


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