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Daniel Costantino

Mondesaufgang. Erhellendes zur deutschen Dichtkunst, Teil 1

Achim von Arnim

Ritt im Mondschein (1820)


Herz zum Herzen ist nicht weit Unter lichten Sternen, Und das Aug, von Tau geweiht, Blickt zu lieben Fernen; Unterm Hufschlag klingt die Welt, Und die Himmel schweigen, Zwischen beiden mir gesellt Will der Mond sich zeigen.

Zeigt sich heut in roter Glut An dem Erdenrande, Gleich als ob mit heißem Blut Er auf Erden lande, Doch nun flieht er scheu empor, Glänzt in reinem Lichte, Und ich scheue mich auch vor Seinem Angesichte. -


Beträten Ausserirdische die verweste Erde und fänden, immun gegen zersetzendes Gift, diese Zeilen, Erbschaft der Menschheit, verbliebenes Wort und Testament, letztes Zeugnis, das aller Vernichtung getrotzt, was würden sie denken, dechiffrierten sie dieses Gedicht? Verklärter Schmutz, zahmer Seelenschmeichel, Kitschmelodei eines Edelpreussen und superchristlichen Tischgesellschaftlers, und Napoleon zog ins Feld und Europa gegen ihn, und Britannien schlachtet die Amerikaner und die Alliierten besetzen Paris, tüfteln und schachern und intrigieren in Wien, und Völkerschlacht und Waterloo und Wunderhorn - Gott, Herz zum Herzen, lichte Sterne! Ja, unterm Hufschlag klingt die Welt, wie wahr, wie ausdermassen romantisch serviert! Und wie zartbesaitet heiss das blaue, arische Blut, merkten sie‘s, vermöchten sie‘s zu denken, die fernen Gestalten, die so gescheit und technisiert und fortgeschritten zur Erde gefunden? Sähe es ein vermenschter, wohlbestallter, sattgefressener Kulturschimpanse noch heute, beizeiten, o Wunder! kurz vor dem intelligiblen und ultimativen Kollaps?

Lang ists her, die Alten sungen.

Nichts höriger, als solche Schwärtchen in die Schulbücher zu setzen, egal welcher Drillepoche, nichts spiessiger aber auch, als den Pseudopoesietakten vorzuwerfen, sie entsprächen nicht mehr der heutigen Zeit, aktuellem Lebensgefühl, moderner Auffassung von Lyrik. Die obern Zehntausend haben immer gar milden Trost versprochen und lobedich, preisedich die verdummten Schafe geschoren. Es kann nicht etwas zum Kitsch verfaulen, was ehedem etwas Gutes gewesen.




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