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Daniel Costantino

Mea culpa

Man hat jetzt herausgefunden, dass die übergewichtigen Helvetier den Steuerzahler sechs Milliarden kosten. Also nicht jeder persönlich, das nun gerade nicht, aber ihresgleichen. Meinesgleichen. Wir Fettwänste im Land. Sechs Milliarden, pro Jahr und allesinallem. Zucker, Krebs und Herzattacken. Und der Bewegungsapparat. Und der Blutdruck nicht zu vergessen. Alles viel zu hohe Kosten, Krankheitskosten. Gesundheitskosten. Risikokosten. Spital- und Medikamenten- und Kur- und Klinikkosten. Welche alle die magere Allgemeinheit tragen muss, die garnichts dafür kann. Da kriegt man nun schon ein schlechtes Gewissen, nicht wahr, all die Gebeutelten solch schwere Soziallasten tragen zu sehen. Bei ihrem grazilen Wuchs! Zum Kurhotel hinauszuschauen und sie schleppen und schwitzen zu sehen. Bluten zu sehn unter ihren gekrümmten Rücken. Indes man selber so masslos der Fresserei frönt. So rücksichtslos und staatsschädigend frisst und keinen Finger mehr rührt. Ja, es führt keine Ausrede dran vorbei: wir Dicken laugen die Schlanken richtiggehend aus.


Ich trau mich schon garnicht mehr, den Kasten anzudrehn. Auch das Zeitunglesen gewöhn ich mir ab. Überall bieten sie jetzt diese Experten auf, diese hohlwangigen Gesundheitsapostel mit ihren ausgemergelten Zeigefingern, die mir mit der Erhöhung meiner Krankenkassenprämie drohen. Mit einer noch grösseren Erhöhung, als sie sowieso alle wegen meiner Disziplinlosigkeit schon berappen müssen, mit einem speziellen Aufschlag für Fettleibige persönlich. Kommt noch dazu, dass ich überdies rauche und so dem Staate imgrunde doppelt zur Last falle und ihm meine Arbeitskraft doppelt entziehe. Das ist nun ganz schlimm, nicht: dem Staat und der Gemeinschaft die eigene Arbeitskraft gleich zweimal zu entziehen. Das sind noch einmal Milliarden allesinallem, die dem Gemeinwesen mangels meiner persönlichen Erschuftung und Herbeischleppung fehlen, bitter fehlen in diesen harten Zeiten. Aber immer noch nicht genug, horribile dictu: ich entziehe ja der Gemeinschaft nicht nur doppelt meine eigene Arbeitskraft, sondern zusätzlich noch ganz viele andere Arbeitskräfte, die ich erbarmungslos aus dem Verkehr räume. Gleich doppelt aus dem Verkehr räume, skandalöserweise. Die ich so lange schädige und kaputtmache, bis sie alle weg sind. Erstens, indem ich ihnen Lasten aufbürde, die kein Mensch tragen kann. Und immer müssen sie noch mehr zahlen für mich und also noch mehr schuften und ihre Rücken ruinieren. Unmenschlich ist das. Und ich foutiere mich um alles. Und zweitens kontaminiere ich die Gemeinschaft so skrupellos mit meinem Tabaksqualm, bis ihre nützlichsten Glieder zum Himmel stinken und weit vor ihrer Zeit zugrundegehen. Totgeschuftete, Moribunde. Kanzeröse und Verpestete. Die alle nun ihrerseits kosten und belasten und vergiften. Und wohin man auch schaut: alles, alles meine Schuld.


Freilich gerate ich dabei auch selbst immer mehr ins Hintertreffen. Indes die Lebenserwartung allgemein steigt, sinkt meine bedenklich. Das ist irgendwie merkwürdig. Die Schlanken und Mageren sollten doch auch alle früher ins Gras beissen meinetwegen, so ausgezehrt und verbraucht sie durch meine Schuld geworden sind. Und ebenso die nichtrauchenden Opfer sonder Zahl, die ich vergiftet und verseucht. Nicht so früh wie ich selbst, aber doch spürbar früher als früher, da es noch keine wissenschaftlichen Studien gab. Wahrscheinlich machen sie die Lasten, die ich ihnen aufbürde, mit der Zeit so zäh und widerstandsfähig, dass sie bei allen Gebresten zwar wanken, aber nicht fallen. Vielleicht ist das so wie bei gewissen Pflanzen. Je weniger Wasser du ihnen gibst, desto entschlossener schlagen sie aus. Je mehr so eine Pflanze ums Überleben kämpft, desto stärker klammert sie sich gerade deswegen an ihr kärgliches und kümmerliches Leben. Dann gäbe es aufgrund meines asozialen Verhaltens und wegen nichts anderem immer mehr alte, spindeldürre Greise, die aber immer länger leben, weil sie sich an die Entbehrung längst gewöhnt haben. Das wäre auch mal eine Untersuchung wert, finde ich.


Und wenn nun bald die Rente mit 67 oder 70 kommt, bedeutet das, mir fehlen immer mehr Beitragsjahre, die ich der Allgemeinheit schulde, da ich wegen meiner Völlerei immer weiter hinters Rentenalter zurückfalle. Und mein rauchender Sohn, der auch sonst überhaupt nicht auf seine Gesundheit achtet, fällt noch früher als ich vom Arbeitsmarkt und seine Kinder noch einmal früher, da sie als direkte Co-Abhängige in dritter Generation natürlich noch weitaus kränker werden als ihre übrigen Mitmenschen. Und wenn meine Urenkel dereinst auch noch rauchen und fressen, dann kommen die schon gar nicht mehr in den Arbeitsmarkt hinein. Das wären dann vier Generationen Rente am Stück. Und immer so weiter. Dagegen hülfe dann keine Erhöhung der Krankenkassenprämie mehr. Dagegen hülfe nur noch der totalitäre Staat.



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