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Daniel Costantino

Maxim Biller will nicht mehr schreiben

Warum das Vögelein pfeift, braucht es selber nicht zu wissen. Ein Schriftsteller aber weiss, was ihn zum Schreiben treibt, Selbstreflexion gehört zu seinem Rüstzeug. Die Inspiration! raunt einer. Der Mensch! ein anderer. Weil ich muss, verrät einer mir im stillen.

Maxim Biller dagegen hat mit dem Schreiben aufgehört. „Alles war umsonst″, resümiert er ende März in der „Zeit″. Schuld ist dieser leidige Krieg in der Ukraine; dass nämlich dort „mal wieder der Zweite Weltkrieg″ ausgebrochen und sein ganzes Schreiben völlig umsonst gewesen sei. Und ausserdem sind Beiträge auf Twitter und in der „Süddeutschen″ schuld, in denen die Klitschkos und der „jüdische Präsident Selenski″ als unangenehme Machofiguren bezeichnet würden. Und eine Klima-Aktivistin, die bei Lanz von einem lästigen Ukraine-Theater rede und sich nicht einmal die Mühe gebe, sich die kriegerischen Greueltaten vorzustellen; die ist ganz genau so schuld, dass Biller jetzt kein Schriftsteller mehr sein will.

Ja verdammt, wenn einer wie er in Berlin wohnt, während so ein Krieg plötzlich bei ihm „um die Ecke″ stattfindet! Wenn ausser ihm keiner mehr unter „Doktor Schiwago″ einen Anti-Bolschewiken-Roman, sondern bloss noch einen Unterhaltungsfilm mit einem schönen, Bridge spielenden Ägypter versteht! Da haut’s dem besten Schriftsteller den Schnuller aus dem Maul, und das darf er laut sagen: Wer in einem solchen „Moment der Weltgeschichte″ als Schriftsteller stur weiterarbeiten kann, ist gar kein richtiger Schriftsteller.

Und darum eben muss Biller jetzt aufhören. Kann leider aus der Wirklichkeit keine Fiktion mehr machen, die „hinterher vielleicht in die Wirklichkeit zurückkehrt″. Muss jetzt, weil er eben ein richtiger Schriftsteller ist, Mitgefühl haben und die „Fähigkeit, sich zu Tode zu erschrecken″. Sonst würde er nie ein richtiger Schriftsteller sein. Und darum sind auch alle, die noch schreiben, keine richtigen Schriftsteller mehr.

So ist ob allem zu Tode Erschrecken Biller als Schriftsteller zu Tode gekommen. Unser einzig richtiger. Wir sind untröstlich und haben alle ein bisschen schuld daran, seien wir ehrlich. Wir haben den Schriftsteller Biller ermordet, er ruhe in Frieden, weil wir stur und mechanisch weiterleben und -arbeiten wie zuvor.

Doch eine kleine Hoffnung lässt er uns: vielleicht, „dann aber erst sehr viele Jahre nach dem Krieg″, will er uns die Uspenskaja in Odessa noch schildern, eine alte, viel zu breite Strasse, sagt er, die Äste ihrer alten Bäume. Ein Alterswerk dann, aber höchstens vielleicht. Wenn wir uns von nun an alle als Mensch und Schriftsteller zu Tode erschrecken.

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