Maskentheater

Gestern wartete ich an der Haltestelle auf das Tram. Die Maske in der Hand. Da plötzlich, ja aus heiterem Himmel schrie mich eine Frau aus fünf Metern Entfernung von der Seite an, ich solle schleunigst meine Maske anziehen. Dabei war das Tram noch nicht einmal in Sichtweite und ausser ihr und mir war niemand in nennenswerter Nähe. Die Frau war offensichtlich regelrecht erbost: Ob ich ein Attest zur Befreiung von der Maskenpflicht hätte oder was ich mir da eigentlich erlaube, schrie sie weiter. Als das Tram einfuhr, setzte ich meine Maske auf und stieg ein. Die kleine, unscheinbar wirkende Dame folgte mir ins Fahrzeug. Ob es mir eigentlich noch gut gehe, ohne Maske an der Haltestelle zu stehen. Ich könne andere anstecken. Ich sagte lange nichts sondern sah ihr nur zu. Schlussendlich sagte ich sehr trocken «Ist gut jetzt» und sie trottete davon, vor sich hin wetternd: «Gut, gut, gut, gar nichts ist gut.»

Einige Tage zuvor wurde ich am Bahnhof Zeuge eines zeitgemässen und sehr aufgeregten Zwischenfalls: Ein alter Mann mit grauem zerzaustem Haar, so eine Art Weihnachtsmann, war notabene mitten im Bahnhof im Gedränge ohne Maske unterwegs. Plötzlich sprang er eine junge Frau an und riss ihr theatralisch die Maske vom Gesicht. Was folgte war ein unschönes Handgemenge, offenbar waren noch andere Personen beteiligt. Schliesslich eilte die Polizei zum Tatort und bändigte den Mann. Dieser schrie lauthals, man solle ihn in Ruhe lassen, alle die Masken abziehen, was hier geschehe, sei falsch, er werde sich zur Wehr setzen gegen die neue Diktatur. Ich ging meines Weges.

Ein paar Tage später denke ich mir: An einem Tag schreien sie mich an, weil ich keine Maske trage, am anderen Tag wird sie mir (oder jemand anderem) vom Kopf gerissen. Und in beiden Fällen frage ich mich – wissen die etwas, was ich nicht weiss? Seit diesen beiden Vorfällen verspüre ich ein leichtes Unbehagen in den Öffentlichkeit. Wie ein aufgescheuchtes Reh. Und daran ist nicht Corona schuld.