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Daniel Costantino

Manche mögens deutsch

und andre mögens neblig. Wer sich durch das Interview mit dem Literaturwissenschaftler Ansgar Mohnkern auf jungle.world über den „Ausstieg aus dem Monstrum der Erzählung“ blättert, muss aufpassen, dass ihn der Nebel nicht verschluckt.

Er umweht ihn schon im Vorspann:


> Die Idee, dass jede Erfahrung von Wissen, Handeln und sogar Leben selbst nur als ‚Story‘ zu haben sei, hat einen ideologischen Kern. <


Und weiter im Lead drängt der Kern, eben dieser ideologische, auf „Mitmachen und Weitermachen“, und zwar dort, „wo ein Anhalten dringend nötig wäre“. Er soll also anhalten, der Kern, der ideologische. Der ideologische Kern von der Idee von der Erfahrung von Wissen undsoweiter. Was alles nur als Story zu haben sei.


> Die Idee, dass jede Erfahrung von Wissen, Handeln und sogar Leben selbst nur als »Story« zu haben sei, hat einen ideologischen Kern. Dieser drängt auf Mitmachen und Weitermachen dort, wo ein Anhalten dringend nötig wäre, sagt der Literaturwissenschaftler Ansgar Mohnkern. <


Anhalten im Nebel oder weitermachen?


Sich aufführen, wie man sich aufführen soll – eine christliche Zucht seit Menschengedenken. Sich geben, wie es der Vorteil erheischt, eine Konsequenz daraus. Dass wir an strenger Kandare laufen von Kindsbeinen an, bis wir irgendwer sind, nur nicht uns selbst: ein zivilisatorischer Brauch, seit es Zivilisation überhaupt gibt. Mohnkern drückt sich ganz anders aus. Er spricht davon, wie sich in unseren digitalen Zeiten Erzählungen in Profile verwandelten. Die Erzählung übernehme die Regie und wir passten uns scheinbar willentlich an. Die Subjekte, sagt er, müssten mit dem gegebenen Rahmen kollaborieren.


Die Machtverhältnisse als Rahmenerzählungen, die uns zur Ordnung zwingen.


> Alle müssen sich diesen Erzählungen fügen, müssen sich gleichsam einfinden in eine erzählte Ordnung, müssen ganz konkret die Kosten zahlen, die durch Erzählungen produziert werden, nur um dann, wie Millionen Amerikaner:innen in der Krise nach 2007/2008, obdachlos zu werden, wenn sich die Erzählung ändert und sie buchstäblich ausspuckt. Die Theorie der narrativen Ökonomie geht so weit, zu sagen, dass reale Wirtschaftsabläufe durch virale Geschichten beeinflusst seien. <


Eine Spezialform der Erzählung wäre der Witz. Vielleicht sollten wir uns andere Witze erzählen? Andere Sprechblasen, damit alles gut wird? Es gibt nämlich auch Blasenerzählungen, manche halten sich ewig. Zum Beispiel das Gold:


> Denken wir nur einmal an Gold. Außer ein bisschen Glanz und Glamour hat Gold im Grunde keinen anderen Nutzwert als eben bloß den, Wert zu repräsentieren. <


Ist ja imgrunde dasselbe mit Geld. Nur falscher Glanz, das Geld. Selber schuld, wenn wir dem Bäcker das Brot und dem Vermieter die Miete noch zahlen. Um aus einem Monstrum auszusteigen, muss man ihm erst in den Arsch kriechen. Und das tut Mohnkern, im dichten Nebel, damit es nichts merken kann.

Die narrativen Elemente fänden „wesentlich ihren empirischen Niederschlag″ in Preis- und Blasenbildung an den Märkten, umschreibt Mohnkern, was Angebot und Nachfrage so antreibt in der Welt. Welch Eiertanz ums goldene Kalb!

Kinder, deren Eltern ihnen kein Pausenbrot bezahlen können, litten konkreten Hunger, der sich sich „nur widerständig in eine Story verwandeln″ lasse und einen fiktionalen Wert nur darin habe, Betroffenheit auszulösen. Er sagt allerdings nicht Betroffenheit auslösen, er sagt: den Reflex der Betroffenheit anrühren.

Ich glaube, eine verstiegene Sprache lässt sich nur in eine Fiktion verwandeln, wenn der tief geneigte Leser sie wie eine Hostie empfängt.


Weil sie Geschichte in Natur verwandeln, wollen Erzählungen nie enden, erfährt man. Würden sie aber enden, wären sie plötzlich „sichtbar als das, was sie sind: Fiktion und Geschichte.″

Da dreht sich das Monstrum im Kreise, immer nach seinem Schwanz.

Wirklichkeit und Gesellschaft, durch Erzählungen gebeugt, ja gezeugt, wirkten mit an der „Aufrechterhaltung der Katastrophe″, weil die Erzählungen sich „in unveränderliche und ewige Natur verwandeln und dabei kein Angebot zur Rückverwandlung machen″.


> Bestes Beispiel ist der faschistische Fetisch von Rasse, Nation und Volk. Solche Manien sind Manien der Ewigkeit, sie zielen auf mythische Naturzustände und werden von der Leugnung dessen getragen, dass es sich um Effekte von Erzählvorgängen handelt. <

Man kann es auch so sagen. Aber anders ginge es auch.

Was übrigens die Katastrophe sei, kann man sich aussuchen. Die ökologische erwähnt Mohnkern. Und das Diktum Walter Benjamins: Dass es so weitergeht, ist die Katastrophe.


> Auch liberal-kapitalistische Gesellschaften produzieren Ideologeme durch Erzählung, etwa indem sie jenen Gewaltakt der ursprünglichen Akkumulation in Erzählung verwandeln und schließlich in Form des Rechts auf Eigentum verewigen. <


Unter der Peitsche frisst halt der Sieger sein Zuckerbrot.


Der Grundantrieb des Erzählens sei die Abwehr des Todes, weiss Mohnkern und spielt auf ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht an. Doch diese Abwehr des Todes, spielerisch noch bei Scheherazade und individuell, sei heute „zu einer kollektiven Verdrängungspraxis geworden, die von Erzählungen am Leben gehalten wird″. Eine kollektive Verdrängunspraxis wird von der Erzählung am Leben gehalten. Man sollte es den Abwehrspielern unserer Fussballnationalmannschaft stecken.


Imgrunde geht es „ums Anhalten, ums Aussteigen aus der Erzählung″, darin liegt des Pudels Mohn und Kern. Das Internet als Geschäftsmodell, das digitale Zeitalter überhaupt biete eine endlose Erzählung, aus der wir nicht herausfänden. Wir müssten ein Ausserhalb, eine Utopie, eine bessere Ordnung finden. Raus aus den Algorithmen finden, die auch Erzählung seien, aber keine Wahrheit mehr kennten.

Aussteigen aus all diesen Verweisketten, rät Mohnkern. Um „im Angesicht gesellschaftlicher und ökologischer Ungleichheiten″ nach einer besseren Ordnung zu streben und „Erzählungen zu entwerfen, die die Erzählung selbst – als Ideologie, die sie ihrem Wesen nach produziert – sabotiert.″ Zum Beispiel eine richtige, eine linke Erzählung, die ein Angebot für den Ausstieg zu machen habe und ausstellen müsse, dass sie nicht von etwas Ewigem erzähle und selbst nicht ewig sei.


Ja der Daus. Raus aus dem Monstrum, rein ins Vergnügen.



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