Lobrede
- Daniel Costantino
- 28. Feb. 2024
- 2 Min. Lesezeit
auf den Roman Hagard von Lukas Bärfuss
und auf Anna Seghers Siebtes Kreuz
Philip, Bärfussens Protagonist, ist vom Liebesbegehren und dem heiligen Gefühl berauscht, ganz einer Frau zu gehören; rennt einer völlig unbekannten hinterher, die er nie von vorne und nie von Angesicht zu Angesicht zu sehen bekommt, bis er dabei aus allem Alltag und aller Zivilisation herausfällt, mitten in Zürich. Sein Entflammen erhöht sich ins Religiöse, bald verehrt er die Angebetete wie eine Göttin, riskiert sein Leben, ihr nur einmal ins Gesicht zu schauen, und endet tragisch. Seinen Zustand beschreiben hymnische Worte, Bärfuss gelingen mit seinen Lyrisierungen grossartige Passagen.
Bei der Seghers das Motiv der Verwandlung, immer- und immerfort, es durchzieht den ganzen Roman und macht ihn zu einer einzigen grossen Dichtung, einem vollkommenen Kunstwerk. Aus der Historie wächst die Figur des Schäfers und repräsentiert sie; dagegen schlüpft die Angst des Protagonisten Georg Heisler in die Erinnerung eines Traums (nachts im Dom), rankt sich starres Bauwerk in die Lebendigkeit und das Lebendige zieht sich zurück in die Starre. Die Fantasie verzaubert die Realität und die Realität wächst aus der Fantasie. Der Mensch lebt von Projektion und Wünschen. Immer wieder durchbricht Georgs Innenleben das Geschehen. Das ist auch ein Bärfuss-Motiv.
Sein Erzähler erstattet Bericht und kündigt eine Geschichte an, die in Zürich spielt und 36 Stunden dauert. Die „Sache mit dem Pelz″ wird eine Rolle spielen, eine kalte Nacht im Auto, eine Geldbörse, eine Elster, ein verlorener Schuh. Aber auch das Thema des Erzählers, wie er eine Geschichte erzählen soll. Bislang sei er gescheitert, wolle es noch einmal, ein letztes, auf die Gefahr hin versuchen, sich lächerlich zu machen und wahnsinnig zu werden. Immer wieder spricht er zu seiner Figur, bei einer Rolltreppe oder im Auto, wo er sich mit ihr die kalte Nacht um die Ohren schlägt; zuweilen verschmilzt er mit ihr, die ja seiner Fantasie entspringt. Dann wiederum markiert er Distanz oder gibt sich aus als der Autor selbst.
Ohne beide Romane gelesen zu haben, sollte man nicht sterben. Das siebte Kreuz von Anna Seghers, 1942 in Mexiko erstmals erschienen, ist nicht nur ein grosses Werk antifaschistischer Literatur, sondern auch ein Höhepunkt der deutschen Sprache. Bärfuss’ Roman Hagard (2017) gehört zum Besten, was die deutschsprachige Literatur der letzten 20 Jahre zu bieten hat.
In der Tat zwei sehr gute Romane.