I Gruppenweise
Wer oder was ist eigentlich man? Man sagt zum Beispiel Verschwörungstheoretiker und denkt sich die Anhänger von Verschwörungstheorien wirr und dumm. Und fühlt sich mit denen, die auch Verschwörungstheoretiker sagen, einig. Oder von denen man denkt, dass sie auch Verschwörungstheoretiker sagen oder sagen würden, jedenfalls meinten und es abschätzig meinen würden.
Und schon ist man Teil eines mans. Eines guten, eines positiven mans, das ist wichtig. Vielleicht mit den andern Guten, den anderen mans nicht gänzlich gleichgesinnt, aber das ist nicht so wichtig. Das lässt man gerne auf sich beruhen.
Gleichgesinnt denkt man sich hingegen die Wirren und Dummen, als einen einzigen verrückten Haufen, den Haufen der Verschwörungstheoretiker eben. Die anderen mans unter sich. Obwohl die sich vielleicht gegenseitig bekämpfen und wiederum in diverse Gruppen, unterschiedliche mans aufteilen. Und je auf ihre eigene sektiererische Weise spinnen, wie ihnen eben lustig ist. Man weiss aber: bei keinen von denen wärmt dich ein Lagerfeuer.
So ist man antiverschwörungstheoretikerman durch und durch und hat es als ein solches nicht nötig, Unterschiede auszumachen. Man braucht nicht einmal eine einzige Verschwörungstheorie zu kennen.
Ein Pronomen, das auf der sicheren Seite steht, das ist man dann, mit den Nachbarn im Treppenhaus plaudernd, natürlich metaphorisch gemeint, zu den treppenhaus- und waschküchenmans möchte man sich eventuell nicht zählen, aber mit den Bürokollegen feixend, an einem Abstimmungssonntag einem Lager zugehörig, das entweder feiert oder schimpft. Ganz unmetaphorisch. Oder wähnt man sich ausserhalb jedes Rudels und grüsst höchstens von Ferne einmal einen alten Bekannten?
Aber ich versuche mir ein Wort zu erklären, indem ich es selber zur Erklärung brauche. Das ist eine schlechte Methode. Und nicht nur das: es führt zu nichts, ein man zur Erklärung von irgendetwas heranzuziehen. Eine Leiter ist, wenn man so hinaufgeht. Und wenn man hinuntergeht, ists eine Tomate.
II Zukunftsweise
Fernweh apokalyps: O Mensch, so ebenbilderhaufenschön der wüsten Erde hingestreckt, Rudelrest den letzten glimmenden Städten zu Füssen, Fata Morganen auf aschenen Hügeln.
(Punische Inschrift der Spätantike)
III Schöne Weise
Darüber nachdenken, was man schreiben soll. Soll man überhaupt? Bloss weil ein Vögelein so pötisch pfeift, aber was es einem sagen will, versteht man nicht? Oder möchte man ihm etwas sagen?
Wie schön es wäre, schreiben zu können und „Mensch, werde wesentlich!“ sich zu verwesentlichen und nicht einfach so kaufundlauf mit der stumpfen Welt dahinzutreiben! Sich eine eigene Welt zu schaffen, nicht in sieben Tagen, aber in den siebzig Jahren, die man sich hienieden etwa zulegen kann, in der es nichts Stumpfes, nur Intensives und Erfüllendes gäbe und man mit besagtem Vögelein jeden Morgen fröhlich aufstünde und sich seine eigene, wesentliche und wunderbare Welt erschriebe und darin so viel Übung gewänne, bis man sie in sich selbst trüge immerdar und nicht mehr zu erschreiben brauchte, das pötische Vögelein möchte auf dem Aste sitzen und pfeifen, wie es will. In der wirklich guten Welt, die man sich mit Schreiben erschaffen hätte, gäbe es keinen Grund mehr zum Schreiben.
Doch Leben ist eine Weise des Indikativs. So sitzt man denn da am Tisch und fragt sich: was also soll ich schreiben?
IV Weltenweise
Apropos Vögelchen, pötisches. In mageren Zeiten will es nicht pfeifen? Dann sollst du es füttern! Mit einer Strofe ausgesuchten, ja ausgezeichneten Futters: Ingeborg Bachmann, Die Welt ist weit.
Die Welt ist weit und die Wege von Land zu Land, und der Orte sind viele, ich habe alle gekannt, ich habe von allen Türmen Städte gesehen, die Menschen, die kommen werden und die schon gehen.
Und schon piepst das Vögelchen einen Ton in die trockene Luft.
Weit waren die Felder von Sonne und Schnee, zwischen Schienen und Straßen, zwischen Berg und See.
Welch Harfenton! Als streifte Onkel Ottos Postkartengruss ahnungsvoll das Land!
Und der Mund der Welt war weit und voll Stimmen an meinem Ohr und schrieb, noch des Nachts, die Gesänge der Vielfalt vor.
Mit einem ganzen Stück Kuchen fütterst du dein pötisches Vögelchen. Nicht nur mit den Rosinen. Und doch ist es, als bestünde das Futter aus lauter Rosinen. Sozusagen ohne Kuchen dazwischen.
Also: die Welt ist weit, die Felder sind weit und der Mund der Welt ist weit. Und voll Stimmen am Ohr ist der Mund, ein Weltenmund am Ohr. Ein Mund, der „die Gesänge der Vielfalt“ - was? flüstert, singt, lallt? Nein: vorschreibt.
Und das pötische Vögelchen pickt die Strofe zu Ende:
Den Wein aus fünf Bechern trank ich in einem Zuge aus, mein nasses Haar trocknen vier Winde in ihrem wechselnden Haus.
Und aus die Maus. Das Vögelchen ist tot vom Ast gefallen.
P.S.
Allerdings schon 1952. Und da durfte es, nach Auschwitz und Adorno, bekanntlich keine Gedichte mehr geben.
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