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Hundstage


Man hat diese Tage. Seine persönlichen Hundstage. Es gibt kein besseres Wort dafür, hin oder her der bekannte Ausdruck, dieses Wetter. Diese Zeit im Jahr, im trostlosen Nebel vielleicht. Oder ein verregneter Sommer. Was weiss man. Eben weiss man nichts und kann man nichts. Man geht vor die Hunde, das sind die eigentlichen Hundstage. Hundsjahre schon bald, wenn man’s zusammenrechnet. Mit allem ist man auf den Hund gekommen seit seiner Jugend, und das ist lange her. Man ist ein anderer gewesen. Ein Trugbild gewesen. Ein Hirngespinst. Und immer aufs neue wieder geworden. Schemen für Schemen hat man sich verpuppt und wieder entblättert und nach und nach die Substanz verloren. Eine phantasmagorische Vogelscheuche zuletzt, bedeckt man seine Blösse vor den andern und sich selbst aus einem Vorrat abgetragener Lumpen.

 

Garnichts weiss man mehr, und doch weiss man eines: Man hat mit allem recht, was man Schlechtes denkt von der Welt. Welch angeberischer Basar! Mit jedem Gutentag speit sie einem ihren schalen Positivismus entgegen. Auf Schritt und Tritt ihre unverschämte Siegerlaune, ihre Aufdringlichkeit, ihre höhnische Marketenderei, zynisches Almosen für einen Bettler. Ich habe dich vernichtet, aber ich gebe dir doch zu fressen. Alle Jahre wird eine alte Mode hervorgeklaubt und als Derniercri austrompetet. Wäre man bei seinem Leisten geblieben, wäre man siebzig Mal aus dem Rennen, aber doch zehnmal im Leben auch dabei gewesen. Einmal verblendet wie die andern, aber nicht immer aufs neue verdummt. Es gibt nichts Abgeschmackteres, als die Zustimmung der Masse zu suchen. Selbst die Pfaffen werden mondän und fangen an, eine wurmstichige Ironie ins Gebet zu legen. Aber man gähnt dazu und weiss, dass sie bei nächster Gelegenheit, einer Naturkatastrophe oder einem neuen Krieg, wieder die verfaulten zweitausendjährigen Masken aufsetzen und voll stimmbrüchigem Pathos ihrer tradierten Rhetorik frönen wie Schmierenkomödianten, die ins seriöse Fach wechseln.

 

Überall stochert man im Nichts und ins Nichts wie in einen verdorrten Haufen Dung. Und alle Augenblicke stinkt doch daraus wieder neue Verwesung zum Leben hervor. Man inspiziert sein Innenleben und ist angewidert. Man ist selbst ein Teil dieser Fäulnis geworden und versucht wie eine alte aufgetakelte Hure, die eigene morsche Fassade aufrechtzuerhalten. Ein zwanghaftes und idiotisches Bemühen. Das Wichtigste war einem gewesen, sein Glück zu erlangen. Ebensogut hätte man irgendeiner abgedroschenen Reklame nachlaufen können. Des Menschen volles Glück ist nur die Dummheit. Seiner irrlichternden Suche mischt sich früh eine wachsende Verzweiflung bei, ein Schmerz, dem jeder Anfang schon Abschied bedeutet. Die mähliche Verfärbung seiner welkenden Blüte. Alle Kraftstrotzerei ist umsonst gewesen.

 

Man fühlt sich schwindlig und übellaunig. Gerade noch hält man sich mit dem Reflex eines Säuglings am Leben fest wie an der nackten Stange eines Karussells, jederzeit seines Abwurfs gewärtig. Man sieht sich schon am Boden zerschellen. Bald wird ein Neuer den Platz übernehmen und sich an eigener Statt in sinnlosen Windungen im Kreise drehn.

 

 

 

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