Ich gebe es ja gerne zu: von Wirtschaft verstehe ich nichts. Ebensowenig von Finanzpolitik. Da bin ich ein völliger Laie, wie der Fachmann sagt. Ich weiss nur, es ist falsch, mangelndes Geld einfach nachzudrucken und etwa die Finanzlöcher des Staates damit zu stopfen. Es ist besser, immer neue Schulden zu machen. Es ist sogar unerlässlich, immer neue Schulden zu machen. Soviel weiss ich. Aber ich weiss es eben nur, ich glaube es nicht. Nicht, dass ich den Experten widersprechen wollte, wer wäre ich denn. Ich würde nie etwas anderes behaupten. Aber im Innersten bleibe ich skeptisch.
Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass für die Hochfinanz etwas gut sein soll, was für meinen kleinen Haushalt eine Katastrophe wäre. Hätte ich Hunderttausend Schulden, wäre ich doch kaputt. Ich wäre ruiniert. Kein Mensch gäbe mir noch Kredit. Meine Nachkommen müssten das Erbe ausschlagen. Welche Schande! Aber ohne Schulden, muss ich mir sagen lassen, sei ein Staat nicht zu machen. Dann komme das ganze System nicht in Schwung. Dann wäre für eine Gesellschaft garkein Wohlstand möglich. Dann müssten wir womöglich alle Wurzeln fressen. Irgendwo in der Mitte muss es eine goldene Brücke geben, ein schwankendes Gleichgewicht, das alles im Lot hält. Sonst kommt entweder nichts voran oder stürzt alles in den Abgrund. Der Kapitalismus ist ein verwegener Balanceakt, mit dem ich jedenfalls nichts zu tun haben möchte.
Früher drehte sich ja alles ums Gold. Das Geld musste mit dem Gold aufgewogen werden, etwas in der Art. Das Geld oder die Schulden oder gar beides, die ganze Geldmenge musste vom Goldvorrat gedeckt sein. Das hat man uns noch in der Schule beigebracht. Da war ich noch ganz ruhig. Ich stellte mir vor, es gebe eine bestimmte Menge von Gold auf der Welt, etwa so, wie es eine bestimmte Anzahl von Bergen gibt. Und daran lasse sich alles ausrechnen. Und die grossen Staaten hätten eben einen etwas grösseren Haufen, die kleinen einen etwas kleineren. Und demzufolge halt ein kleineres oder ein grösseres Budget. Wenn jeder Schuster gross und klein nur bei seinem Leisten bleibe, könne nichts passieren. Dann hat aber plötzlich, es ist nun auch schon eine Weile her, die Schweiz ihren Goldvorrat verhökert, jedenfalls einen guten Teil davon. Es brauche nicht mehr so viel Gold, hiess es zu meiner Überraschung. Man wolle es verkaufen. Es gab, glaube ich, sogar eine Volksabstimmung, ob man den Erlös zum Teil den Holocaustüberlebenden oder der Rentenkasse schenken wolle. Ich weiss nicht mehr, wie es herausgekommen ist. Aber insgeheim war ich entsetzt, muss ich gestehen. Wenn eine Demokratie ihre Geschäftsgrundlage einfach veräussert, kann etwas garnichtmehr stimmen. Zu sagen hatte ich es mich nicht getraut. Sollen sie ums goldene Kalb herumtanzen, habe ich mir gesagt. Wer nicht hören will, wird eines Tages fühlen müssen.
Seither überspringe ich die Wirtschafts- und Finanzseiten in der Zeitung. Wieso soll ich das lesen? Ich bräuchte Jahre sorgfältigen Studiums, nur um zu verstehen, was da geschrieben steht. Um mich hinterher über die Welt, die sich so exzessiv dem Mammon verschrieben hat, noch besser ärgern zu können? Nein, da denke ich mir lieber, die Experten verstehen ja selbst nichts von der Sache. Die stehen ja auch wie der Esel vorm Berg. Die können auch nicht mehr, als beschreiben, was vor ihrer Nase gerade passiert. Soviel kann ich auch. Sie sind sich ja sowieso nie einig. Die einen sagen, es sei noch zu früh, den sogenannten Leitzins zu senken. Was immer das ist. Die andern sagen, es sei schon zu spät. Die Wirtschaftsvertreter wollen überhaupt immer etwas anderes als die Gewerkschaften. Die Regierung postuliert ein von Parlamentsbeschlüssen abweichendes Modell und setzt es womöglich gar hinter dem Rücken der Abgeordneten um. Die Rechten mahnen Methoden an, die sich gänzlich von den Vorstellungen der Linken unterscheiden. Und die Mitte weiss noch ein drittes Rezept, und die Politik befolgt alles nacheinander und miteinander und gegeneinander.
Nein, für mich ist der Kapitalismus die Fortsetzung des Krieges mit andern Mitteln. Die zugleich übrigens auch die Voraussetzung des gewöhnlichen Krieges sind. Eine Schwanzbeissgeschichte. Wenn ich mir das Ganze so anschaue, die Banken- und Wirtschafts- und Staatenkrisen, all die Pleiten und Bankrotte und Kollapse, die Börsenblasen und die Billionenschulden, die Pleitegeier und die Rettungspakete, die Investmentbanker und die Arbeitslosen allenthalben, jungejunge! Da möchte ich doch glatt auf einen Vorschlag zurückkommen, der, ich weiss schon, selbst ein bisschen dagobertianisch, ein wenig nach Entenhausen klingt. Wie wäre es, wenn man jedem Einzelnen ein kleines Gelddruckgerät geben würde. Nur für den ganz persönlichen Gebrauch. So fürs Nötigste. Mit einer integrierten Vorrichtung, die den Gelddruck blockiert, wenn eine bestimmte tägliche Menge erreicht ist. Das liesse sich doch machen, bei Zapfsäulen funktioniert es ja auch. Da gibt es ja auch so eine Abschaltautomatik in der Pistole, wenn genug Benzin im Tank ist.
Also schlechter, als es schon ist, würde es doch auch nicht herauskommen. Ich hätte jedenfalls keine Angst, es würde niemand mehr arbeiten wollen. Es würde zwar vielleicht etwas weniger, dafür aber sinnvoller gearbeitet und nur für das wirklich Notwendige. Der Mensch hat nun einmal einen Betätigungsdrang. Und essen müssen wir ja schliesslich alle.
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