Die güldne Sonne,
Voll Freud und Wonne
Als wärens nicht meine, als wärens nicht meine! hör ich mich sagen und weiss gerade noch, dass ichs von den Gedanken hatte, die merkwürdig vorproduziert in meinem Kopf herumflimmerten, oder dachte ich: coproduziert – eine fluoreszierende Kette von Punkten, wechselweise hell und matt getönt. Die hintersten ein zuckender Schimmer.
Schliesslich sitze ich mit offenen Augen auf der Bettkante und alles erscheint im selben Grau. Mein Tag beginnt und ich achte mich des Flimmerns im Schädel nicht mehr. Es löst tausende Reaktionen aus, graue, blinde, unwillkürliche Handlungen, Abläufe bis am Abend, die ein emsiger Roboter genausogut wie ich ausführen könnte.
Volkslied
maikäfer flieg
gen osten in den krieg...
was zögerst du noch
du menschheitsgeschichte !
Das Fis
Ich hatte bloss zum Einspielen auf dem Klavier ein paar heisse Rhythmen improvisiert. Da ist mir ein Fis geschmolzen, das tenorale Fis, an dem sich meine Stimme immer bricht. Plötzlich entstand ein Schwelbrand, die Taste hat sich zu einem schwarzen Kaugummi aufgeblasen, ist tonlos geplatzt, über die Nachbartasten und durch die Zwischenräume aufs Holz ausgelaufen und vor meinem rechten Fuss, ich konnte ihn gerade noch zurückziehen, in schwarzen Tropfen auf den kleinen roten Teppich hinuntergekleistert, fis fis fis.
Kriegsschalmeien
es tönen die lieder
die hirten uns wieder
zi zi will will will die freiheit
zi zi will will will wir schafe auch
Erstling
Ein seinerzeit skandalöser Roman gerät mir in die Hände. 1966 herausgekommen, der Autor damals 26. Auf dem Einband des Erscheinungsjahres steht, das Buch dürfe keinesfalls an Jugendliche verkauft werden.
Doch ich bin enttäuscht. Was sollen mir das Flaschengrün eines Flusses und das Rot einer Knabenbadehose, wenn das Geschehen doch in stockdunkler Nacht spielt; die vielen Adjektive, die entweder szenisch unmögliche Dinge benennen oder simple Selbstverständlichkeiten; eine Poesie, die mich auf den Arm nimmt, und ein Realismus, der mich so eng an der Leine führt?
Ab und zu gelungene – wie sagt man? – ineinanderlaufende Impressionen. Sage ich. Die hätten mich wahrscheinlich beeindruckt, als ich im Alter des Autors war.
Aber wie hätte ich den verbotenen Roman als Jugendlicher gelesen? Wie ein Verdurstender Wasser trinkt? Oder befremdet? Beflissener jedenfalls. Ich hätte ihn nicht so schnell aus der Hand gelegt.
(Guido Bachmann, Gilgamesch.)
Das Fis
Auch mein Klavierstimmer kann sich die Sache mit dem Fis nicht erklären. Ob ich eine Zigarette geraucht hätte? - Nein ich rauche nicht mehr, auf den Rat meiner Krankenkasse. Und ausserdem Pfeife. - Die wollen nur Profite machen, brummt er und fingert an der Tastatur herum. Dann greift er nach seinem Werkzeugétui. Dass die allgemeinen Krankheitskosten vom Nichtrauchen sänken, sei nur ein Glaube. - Ach, sage ich, dass er morgen mit dem Geld, das ich ihm heute gebe, noch Brot kaufen könne, sei auch nur ein Glaube. - Er müsse mehrere Tasten ersetzen, meint er schliesslich, nachdem er das Klavier ein bisschen zerlegt und die Tastatur ausgemessen hat, mindestens noch F und G. - Aber die sind doch garnicht beschädigt! - Wenn er ein Fis alleine einsetze, wackle es wie ein loser Zahn. - Ob er es nicht mit einem Ges versuchen wolle, das klebe vielleicht besser? –
Darauf hat er eine ganze Oktave mit ihrem Holz vom Rahmen gezogen, um sie in die Werkstatt mitzunehmen. Es gehe möglicherweise ein paar Wochen, ein einzelnes Fis sei auf dem Markt schwer zu bekommen. Und schon ist er zur Tür hinaus.
Kriegsticker live
ein knopfdruck
und wir sind dabei !
ein knopfdruck
und wir sind vorbei...
Maturlektüre
Ein immer noch junger, erfolgreicher Autor. Vor ein paar Jahren hat er diesen Roman herausgegeben, schon gehört er zur Maturlektüre. Die vielen Bezüge zu literarischen, vorwiegend amerikanischen Vorlagen kriege ich nicht mit, ich lese in Königs Erläuterungen davon. Die Adaption eines Eichendorffgedichts, in Prosa geschrieben, ist mir allerdings nicht entgangen. Sie entbehrt völlig des Atmosphärischen. Was König nicht erwähnt: die meisten Vergleiche und Metaphern sind überstrapaziert. Auch wie bei den Amerikanern.
Der Autor kann Jugendjargon. Der Rest ist Zaunpfahl und Geunke. Hauch des Schicksals über Figuren aus Kopfgeburten. Ausschweifungen vom Übel, Sex mit wechselnden Partnern sowieso. Das Frauenbild ein Schrecken. Die 68er-Autoren hätten von einem reaktionären Buch gesprochen.
Die jungen Mitglieder einer auseinandergerissenen Familie kriechen am Schluss allesamt wieder zurück in den Schoss. Extra familiam nulla salus.
(Benedict Wells, Vom Ende der Einsamkeit.)
Das Fis
Der Klavierstimmer meldet sich nicht. Ich reinige inzwischen den kleinen roten Teppich, der seine Kordeln einzieht wie ein genierter Hund die Tatzen.
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