Ich möchte über den Krieg schreiben, doch die Wetterberichterstattung kommt mir in die Quere. Wie dem Newsticker zu den dramatischen Ereignissen in der Ukraine, ist es auch dieser eigen, insbesondere der Onlineversion, mit grossem Tamtam Dinge zu verkünden, die zwölf Stunden später obsolet sind. Streift nach den ersten milden Frühlingstagen eine kleine armselige Kaltfront das Land, geht es los mit dem Geschrei: Der Winter kehrt zurück! Frühling ade - war's das jetzt? Oder etwas poetischer, wenn auch auf bescheidenem Niveau: Oh, lang ersehnter Frühling - gekommen, um gleich wieder zu verschwinden. Zwölf Stunden später, wenn die Kaltfront vorbeigezogen ist und die Frühlingssonne die Wiesen und Wälder wieder streichelt, ist die Sache gegessen, vergessen, samt dem ganzen Geschrei dazu.
Beim Krieg kann sich diese journalistische Kurzatmung als viel verhängnisvoller erweisen, denn ich sah die dunklen Wolken eines Weltkrieges aufziehen, als ich in einem Newsticker die EU-Ratspräsidentin Ursula von der Leyen an die Adresse der Ukrainer sagen las, "Sie sind einer von uns und wir wollen Sie drin haben", nur um am Abend in einem ausführlicheren Beitrag zu lesen, dass sie dies zwar gesagt hat, aber in einem Zusammenhang mit Sätzen davor und danach und als Reaktion auf die Bitte des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selensky, die Ukraine so rasch als möglich in die EU aufzunehmen. Natürlich kann einem angesichts der Bilder aus den Städten im Kriegsgebiet eine Ohnmacht gepaart mit dem Wunsch übermannen, den in die Enge getriebenen Menschen zu helfen, sie in Sicherheit zu bringen. Aber eine sofortige Aufnahme der Ukraine in die EU würde den Konflikt zusätzlich anheizen und zwar nicht als Gefahr für den Westen, sondern innerhalb der Ukraine.
In den Donnerschlägen und Funkenblitzen des Newstickers, dem in seiner Wirkung der Charakter von Kriegspropaganda innewohnt, gehen ganz grundsätzliche Sachverhalte unter. Etwa der Umstand, dass in den östlichen ukranischen Oblasten Luhansk und Donezk die Sympathien für Russland weit verbreitet sind, was sich in den 2014 ausgerufenen Volksrepubliken, die sich als Teil Russlands verstehen, zeigt. Man könnte hier auch noch auf die vom Westen mit viel Empörung und Geschrei kommentierte Annexion der Krim durch Russland verweisen. In diesem und in den zwei zuvor erwähnten Gebieten, wird der Westen als expansive Macht wahrgenommen.
Es lässt sich abseits des Newstickers erfahren wie gespalten und zerstritten dieses Land ist, denn den Sympathien zu Russland im Osten entgegen wünscht sich eine Mehrheit der Menschen in den Städten und in westlichen Gebieten einen europäischen Lebensstil. Wenn Putin nun gerade diesen Leuten faschistisches Gedankengut vorhält - was im Einzelfall natürlich lächerlich ist - und von "Entnazifizierung" der Ukraine spricht, ist dies zwar Propaganda, zynisch und scheinheilig, aber auch nicht einfach aus der Luft gegriffen, denn die Nazikeule bezieht sich auf den Personenkult um nationalistischen Politiker und Nazideutschland-Kollaborateur Stephan Bandera, nach welchem in ukrainischen Städten Strassen benannt und Denkmäler gebaut wurden. Dass - ebenfalls in den Dreissigerjahren des letzten Jahrhunderts - Stalin im Rahmen des Holodomor versucht hatte, die Ukraine gefügig zu machen, ist ein weiterer Teil der Geschichte, die zeigt, dass das Land immer wieder, wenn der Sturm zwischen Machtblöcken aufzieht, das Pech hat, zum Fähnlein im Wind oder zum Spielball zu werden. Umso bedauerlicher ist es, dass der Westen sofort aufspringt, wenn sich die Gelegenheit zur Konfrontation ergibt.
Dem Newsticker wohnt die Kurzatmung inne, was aber auch für die Politik des Westens gilt, weshalb dessen vereinten Politikern nicht anderes in den Sinn kommt, als Putins Feldzug mit eigener Aufrüstung zu begegnen. In einem um sich selbst drehenden Wirbelwind tut die politische Klasse so, als sei Undenkbares geschehen, als sei heute alles anders als die Woche davor und überhäuft jeden, der darauf hinweist, dass Aufrüstung letztlich und mittelfristig nur eine weitere Eskalation der Gewalt zur Folge hat und der Westen aufgrund seiner eigenen, aktiven Kriegserfahrung eigentlich wissen müsste, mit Schimpf und Schande.
Wenn Putin von Friedesmission spricht, hält er, schlau und durchtrieben wie er ist, dem Westen einen Spiegel vor, denn seit 500 Jahren kolonialisieren europäische Staaten und die nordamerikanischen Ableger die Welt, ob im Namen des Christentums, der Freiheit oder der Demokratie. Zwar sind Ansätze erkennbar, die eine globale, partnerschaftliche Politik anstreben, doch setzt einer zum Krieg an, scheinen alle guten Absichen wieder hinweggefegt. Es darf gefragt werden: Welchem Menschen in Kiew ist jetzt geholfen, wenn der Westen seine Militärs aufrüstet? Die Antwort lautet: Keinem! Es muss auf eine Aggression dieser Art andere Antworten geben. Eine Politik, die ernsthaft und auf Augenhöhe mit anderen Ländern und Kulturen verhandelt, wäre ein Anfang.
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