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AutorenbildCaspar Reimer

Einsamer Widerstand

In den Augen seiner linken Freunde war er ein Egoist, ein Verräter, einer, dem der solidarische Gedanke völlig abging, denn könne die Befreiung der Menschen aus dem Gefängnis, das sich Besitz und Kapital nennt, nur kollektiv, ja politisch gelingen. Leute wie er – selbständig, freischaffend und ohne jede Anbindung an eine politische Organisation oder eine Gewerkschaft – seien Idioten, weil sie sich ausserhalb der Gesellschaft verordnen, ihre Emanzipation gegen andere richten, nur ihr eigenes Überleben im Schilde führten.


Früher war er ihnen – den Hausbesetzern, den Anarchisten, den Jungs vom Schwarzen Block ­– hörig, nahm an Demonstrationen teil, horchte den Anführern mit spitzen Ohren, versuchte sich in einschlägigen Blättern als Schreibkraft, doch sollte der Funke nie zünden – sagte er etwas, herrschte Schweigen, im besten Fall ein mitleidiges Lächeln, irgendwie schien er immer das Falsche zu meinen, zu denken und so war es ihm gar nicht möglich, irgendeinem Kollektiv, das den Kapitalismus abschaffen, die Menschheit befreien will, beizutreten, der Zutritt wurde ihm verweigert.


Heute interessierte ihn, was diese Grünschnäbel von sich gaben, längst nicht mehr, hatte er doch seine einsamen Strategien entwickelt, der eigenen Versklavung, die er tagtäglich und notgedrungen betrieb, einen Tritt zu verpassen. Die Befreiung überkam ihn etwa, wenn er, statt eine längst fällige Steuerrechnung zu begleichen, sich ein schönes neues und teures E-Bike kaufte, wobei es nicht um den materiellen Lustgewinn, sondern – und so verstand er es für sich – um einen Akt des Widerstandes ging. Weiter weigerte er sich, die Steuererklärung korrekt auszufüllen, geschweige sich länger als nötig mit dem Kram auseinanderzusetzen, was zur Folge hatte, dass er behördlich eingeschätzt wurde, jeweils viel mehr Steuern zahlte als dies, hätte er seine staatsbürgerliche Pflicht korrekt erledigt, nötig gewesen wäre.


Mit der Zeit ging er sogar noch weiter, einzelne Akte des Widerstandes genügten nicht mehr, er wollte den Kapitalismus herausfordern, sich seinen Zwängen ein für alle Mal entledigen. Also begann er damit, all sein Geld ­­– und es war nicht wenig – zu verschenken, sei es irgendeinem Dahergelaufenen, der sympathisch schien, einem Penner, aber auch Betrügern, die seinen Zustand durchschauten und an sein Geld wollten. Es dauerte nicht lange und er hatte kein Geld mehr, um seine Wohnung zu bezahlen, landete auf der Strasse. Als er, nachdem er seinen Schlüssel dem mürrischen Vermieter abgegeben hatte, als Obdachloser die Strasse entlang spazierte, verspürte er einen Rausch, ein kurzes Glück von Freiheit.

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