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Daniel Costantino

Ein Lead auf die Presse zu singen

> Von jungen Afghanen missbraucht und umgebracht - Mutter trauert um Leonie (13): „Warum wurden sie nicht längst abgeschoben?“ <


Diese Schlagzeile, einer kürzlich erschienenen Online-Ausgabe des „Blicks“ entnommen, manipuliert wie der ganze folgende Artikel einen Mordfall in Wien im Sinne eigener, gegen die Aufklärung gerichteter und der Vierten Gewalt von jeher eingeletterter Interessen. Ein paar Zyniker werden mehr oder weniger wissen und lenken, fast aller Rest der Medienzunft ist Rudel und hat das Vorauseilende fügsamer Gedanken längst in den Genen. Wie das Volk, das wenig souveräne, umgekehrt und seit uralten Zeiten ja auch. So hat es eben die Presse, die es verdient, und das Rudel ein Volk, an dem es verdient.

Die verpixelte Fotografie des Mädchens, aus wesentlich jüngeren Jahren noch, Dokumentation und absurdes Zerrbild zugleich; ein paar schmucke Aufnahmen des abgesperrten Tatorts; Kanzler Kurz, Kopf, Wort und Krawatte, von ihm wird noch geschrieben sein - branchenübliche Illustrationen, die wie im Bilderbuch für kleine Kinder die Story untermalen, kolorieren, plastischer erscheinen lassen, als der stümperhafte Text, für halbe Analphabeten geschrieben, es je vermöchte. Schreiben und zeigen, was ist, so die allbekannte fidele Maxime, und doch scheitert man schon an der Schlagzeile und lässt eine Mutter umgebracht und also maustot um ihr Kind trauern und legt der selben umgebrachten Mutter als Reaktion auf die Nachricht vom Mord an ihrer Tochter die Sprechblasenfrage nach dem Warum einer verfehlten Asylpolitik in den Mund. Es ergibt sich daraus die Schändung zweier Leichen, einer echten und einer falschen. Statt Information und Wahrheitssuche Triumph und Pathos einer Hyäne, so weidet sie, Kind und Mutter, gleich zwei Opfer aus.

Und, noch immer Vorspann, aber zur Hauptsache, damit sichs gut einprägt, schon Repetition:


> Die 13-jährige Leonie wird am Samstag tot in der österreichischen Hauptstadt Wien gefunden. Wenig später wird klar: Sie wurde von jungen Afghanen missbraucht und umgebracht. Jetzt spricht die Mutter des Mädchens. <


Man kanns jetzt auswendig nachplappern, teilen und twittern und weiss on und off was noch alles und am rauchfreien Stammtisch, so man denn einen noch hat, den Mord mit dem schaurigen Sex und dem Asylskandal und das furchtbare Unglück der Mutter herumbieten und -posaunen, ohne überhaupt noch den Artikel lesen zu müssen. Und wer ein wenig in der Übung ist, dem genügt, sich den „Blick“ zu ersparen, schon der Blick zum Kiosk, wo jeder Aushang ein Rauchfang; kauft er doch einmal das Blatt, wird er meistens enttäuscht, weil die Schlagzeile mehr suggeriert, als dann tatsächlich drin steht.

Dass das Mädchen „am Samstag tot in der österreichischen Hauptstadt Wien gefunden“ sein soll, obwohl es nie gesucht worden ist, tönt durch sprachliche Impotenz wie lachhafter, den ganzen Globus absuchender Bombast.

„Warum wurden sie nicht längst abgeschoben?“ - „Warum nicht längst abgeschoben?“ - Schliesslich: „Warum ist dieser Mensch nicht längst abgeschoben worden?“ Dreimal in Lauftext und Lead die Frage einer von der Grammatik umgebrachten Mutter; bevor dreimal kein Hahn nach ihr kräht, ist sie dreimal verleugnet.


Aus Wien und der Distanz berichtet das Wenige und doch schon ein Alles. Man weiss, was abgeht, wenn so etwas hierzulande geschieht, und ersieht das Völkerverbindende daraus, die Lüge und die Hetze, die Dummheit und wenns sein soll: den Krieg. Hinter den Kulissen reibt man sich hüben und drüben die Hände über den guten Geschäftsgang.


„13-Jährige kommt aus Tulln: Was machte sie alleine in Wien?“ - „13-Jährige tot - Verdächtiger sollte abgeschoben werden!“ - „Tatverdächtige Killer verhört: Einer schweigt, einer leugnet!“

So listet die heute.at ihr Geschwiemel über den Mordfall auf, ihre Leichenfleddereien, indes blick.ch, um wieder auf unseren Artikel zurückzukommen, die Dinge ein wenig Revue passieren lässt und über die Mutter schreibt:


> Wenig später bestätigen ihr die Ermittler den schrecklichen Verdacht. Für die Mutter bricht eine Welt zusammen. Sie erzählt: „Leonie war sehr früh sehr selbstständig. Wenn ich gewusst hätte, mit wem sie Kontakt hatte, hätte ich es ihr verboten.“ <


Das Aufgebauschte und Unseriöse eines Artikels lässt sich ohne weiteres an der Sprache nachweisen, ohne die geringste Rosinenpickerei. Zu schreiben, für die Mutter breche eine Welt zusammen, und sie im nächsten Satz aus der Rückschau erzählen zu lassen, beweist die Panscherei bei der Herstellung des Artikels. Die Gedankenlosigkeit der Wörtchens „es“, was sich logisch nur auf das Selbständigsein beziehen, aber wohl nicht so gemeint sein kann, sei einmal dahingestellt. Dass auch wörtliche Zitate verdreht und unwahr sein können, hat man ja schon an den drei Versionen über die Abschiebung gemerkt.

Kanzler Kurzens Versprechen in wörtlicher Rede am Ende des Artikels: „Wir werden alles tun, damit die Täter mit der vollen Härte des Gesetzes bestraft werden“, würfe die politische Frage nach der Gewaltenteilung auf, aber politisch ist weder der Artikel noch Kurzens rhetorischer Draufschläger gemeint, ganz abgesehen wieder vom Zitieren; steht doch oben unter den Fotos, er verspreche, kriminelle Asylsuchende konsequent auszuschaffen, was auch mit dem Rest des Zitates am Schluss des Artikels nicht recht übereinstimmt. Das eigentlich Politische solcher Schundproduktion zeigt sich an ihrer grossen Leserschaft und deren Irrtum, immer gut informiert zu sein: sie lesen doch jeden Tag die Zeitung!



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