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Drei kleine Geschichten von Scarp

Aktualisiert: 17. Juni 2021

Einer neuen Stadt, aus deren Häusern die Bewohner glotzen wie Gefangene hinter Gitterstäben, zeugt Scarp ganz gegen den Brauch ein Kind. Jeder Einzelne nämlich dort, sobald er seine Tage nach vierzig Jahren abgezählt, meldet sich am Friedhof zur Einäscherung, die unverzüglich und ohne weitere Umstände erfolgt. Darauf stellt die Gemeinde wieder einen frischen Menschen bereit; so sind die Dinge für alle geregelt. Scarp aber, der Fremde, nimmt sich im Dunkeln ein Weib, schwängert es und macht sich aus dem Staub, noch ehe der Morgen graut. Und das Kind, der Kegel, der Balg, wird flügge und zieht eines Tages zur Stadt hinaus und durch den schönen Wald und kehrt nicht wieder.


Weintrinkend zu nächtlicher Stunde auf dem Balkon hingestreckt, fühlt Scarp sich von einer zarten Pflanze umästelt, die leise zu ihm emporwächst, ihn aufhebt und über die Mauer trägt in die Luft. Da wiegt er sich schön auf ihren Blättern und Stengeln und schwebt bald am Nachbarhaus, bald wieder am eigenen vorüber, bald auch gegen die Allee zu, die das Trottoir von der Strasse trennt. Durch ein Fenster spiegelt Nachbars Flimmerkasten. In der Kinderstube schlafen die Kleinen und träumen. Gegen den Rasen, den Spielplatz zu, fängt er an, auf seiner Pflanze zu weinen vor Glück. Sie sausen die Rutschbahn hinab und fliegen mit Schwung hinauf in die sternklare Nacht. Aus der Pflanze wird ein flauschiges, atmendes Tier. Sie fliegen am Mond vorbei, wo er es küsst, am Saturn, an der Wega, wo er es liebt, bis zum lieben Gott, der sie freundlich bewirtet.


Und der Wirt im Dorfe, der ihm für einmal die Zeche erlässt, wischt sich den Bierschaum vom Mund; so verlässt Scarp das Lokal als der Letzte. Am Kirchturm der Gockel schaut tief in sein Herz und heisst ihn sich drehen zum Tor hinaus, hinunter zum Fluss und zur alten Wehr, wo er sich in den Schleusen verfängt und durch einen Schacht in den Abgrund purzelt. Es rettet ihn aber am Morgen eine junge Verkäuferin, vor deren Kasse im Supermarkt er unsanft gelandet. Sie hilft ihm, auf die Beine zu kommen, und reicht ihm in der Kantine einen warmen Kaffee.



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