Seit Beginn der Pandemie nutzt die WOZ das Virus als Träger ihrer Kapitalismuskritik. Das kann gut, aber genauso in die Hose gehen, wie der Leitartikel «Economikron regiert» der Ausgabe letzter Woche zeigt. Economikron! Das Wortspiel aus Economiesuisse, dem Dachverband der Schweizer Arbeitgeber, und Omikron, dieser ganz besonders ansteckenden, in ihrer Heimtücke und Hinterlist noch nie da gewesenen Virusvariante, ist jedoch höchstens halbwegs gelungen, denn man fragt sich, wer nun eigentlich regiert – der Wirtschaftsverein und die Virusvariante zusammen sind’s wohl nicht. Im Text schreibt sich die Autorin den Ärger vom Leib und schwingt die Moralkeule, lässt kein gutes Haar an jenen, die sich am Wochenende auf den Schweizer Skipisten gegenseitig über die Stöcke stolperten und «ohne Maskenpflicht und Coronasorgen» ihren «eigenen Egoismus feierten.» Solches Saupack ist ihr ein Gräuel und noch schlimmer der Bergbahnbetreiber, der die Frechheit hat, sich nicht nur zu freuen, sondern beim Interview mit dem Schweizer Fernsehen auch noch in die Kamera strahlt wie der Hans im Glück, weil er wieder Gäste den Hang hochbringen und runterholen darf. Mit dem nächsten Absatz folgt ein Szenenwechsel, ein dramaturgischer Clou, ein Zeitsprung vom Tag in die Nacht, von den verwöhnten, steinreichen Snobs im Schnee in den von bitterer Armut, Coronasorgen und Maskenpflicht geplagten Kanton Graubünden, wo die Regierung eine Meldepflicht für abtrünniges Pflegepersonal beschloss, das bei Engpässen aushelfen soll. Keine schöne Sache versteht sich, doch daraus einen Klassengegensatz zu konstruieren, scheint mir ein kapitalismuskritischer Kurzschluss, denn mit Verlaub: Der Pflegeberuf mag, so wie viele andere Berufe auch, hart sein, doch eine durchschnittlich verdienende Schweizer Pflegerin wird sich einen ganz und gar ausgelassenen, hedonistischen Wochenendspass im Schnee leisten können. Mag die Autorin den hart arbeitenden Genossinnen und Genossen den Skispass nicht gönnen?
Dass so manchem, der sein Geld mit einer eigenen Imbissbude, einem Coiffeursalon oder einem Kleintheater verdienen muss nun das Wasser bis zum Halse steht, kommt im Text nicht zur Sprache, denn dann würde die Angelegenheit sofort etwas komplizierter. Diese armen Teufel leiden nicht wegen eines Virus – dafür müsste es eindeutig gefährlicher sein als das Vorliegende – sondern sehen ihre Arbeit im schlimmsten Fall wegen der staatlich angeordneten Restriktionen und der seit zwei Jahren andauernden Angstmacherei an die Wand fahren. Anna Jikhareva, so heisst die Autorin des WOZ-Artikels, schliesst also wieder kurz und macht es sich zu einfach, wenn sie angesichts der ausgebliebenen Verschärfungen in der Pandemiebekämpfung schreibt, statt der Menschen schütze der Staat das Kapital, denn er schont auch jene, die etwas davon abbekommen müssen, auf die Wirtschaft und soziale Kontakte angewiesen sind, um ein anständiges Leben zu führen. Eine pathetische und sehr platte Klassenkampfrede gegen das Kapital wird diesen Menschen, deren es viele gibt, nichts bringen.
Die WOZ ruft nach einem starken Staat, der die Wirtschaft an die kurze Leine nimmt, ist nun beleidigt, weil die Zeichen auf Öffnung stehen – Hauptsache, die Wirtschaft brummt, schreibt sie. Dabei verkennt sie, dass es eine Vielzahl von Gründen, vor allem sozialer und kultureller Natur, gibt, die Massnahmen so bald als möglich aufzuheben.
Die Zeitung hat sich klassenkämpferisch in die Pandemiebekämpfung verschossen und dies nicht erst mit dem neulichen Artikel. Sie setzt eine repressive Virusbekämpfung mit Solidarität und Gerechtigkeit gleich, blendet dabei die Schäden aus, welche die Massnahmen zur Bekämpfung der Seuche bei den Menschen verursacht haben. Ihnen jetzt, wo es wieder möglich ist, den Skiplausch nicht gönnen zu wollen, ist mit Verlaub: kleingeistig und engstirnig.
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