Die 99-Prozent-Initiative der Jungsozialisten wird am 26. September zerschmettern wie ein Vogel an einem Kirchenfenster. Interessant dabei ist, dass die Initiative – sie schlägt eine höhere Besteuerung von Kapitaleinkünften aus Dividenden, Börsengeschäften oder der Vermietung von Wohnungen zugunsten finanzieller Entlastungen der Unter- und Mittelschicht vor – wohl nicht des Begehrens, sondern ihres Absenders wegen den Totalabsturz erleiden wird. Dies will eine dieser Tage im Auftrag von SRF durchgeführte Umfrage herausgefunden haben. Die Angst vor der roten Socke also? Offenbar sitzt diese tief, denn wer sich mit der Initiative etwas genauer beschäftigt, wird erkennen, dass es sich hier weder um eine Februarrevolution noch um das Ende des Kapitalismus, sondern um eine leichte Korrektur krasser Einkommens- und Vermögensgegensätze handelt. Dass die Juso auf ihrer Homepage schreibt, sie lehne unser Wirtschaftssystem, sprich den Kapitalismus ab, ist dabei geschenkt. Auch die SVP stellte während ihrer Hochzeit immer wieder Provokationen in den digitalen Raum, die dann, wenn's drauf ankommt, nicht so gemeint sein wollen. Und wenn die Schweizer Sozialisten weiter schreiben, dass sich Fleiss und harte Arbeit mehr lohnen müsse, als an Kapitalmärkten mit Geld zu jonglieren, spätestens dann wird klar, dass die Jungpartei längst verstanden hat, wie Realpolitik zu betreiben ist – von einer Revolution roter Socken keine Spur.
Angela Merkel wird von rechts nachgesagt, sie habe die CDU nach links geführt. Auch das ist bei näherer Betrachtung falsch, bedenkt man, dass sich die Christdemokraten nach 1945 als Sammelbecken der Mitte verstanden haben. Es ist vielmehr die Mitte selbst, die etwas bunter und in den letzten Jahren leicht grün angelaufen ist – nach wie vor marktkonform bis ins Knochenmark, durch und durch kapitalistisch, aber ja, sie ist etwas anders, gesellschaftlich liberaler geworden. Und gewisse ökopolitische Fragen, sie drängen sich auf. Die Geschichte mit den Flüchtlingen – diese war für einige CDU-Stammwähler der Moment, sich angewidert von Merkel abzuwenden: Ein Kollege, der sich selbst dem rechten Lager zuordnet und damals, als Deutschland medienwirksam seine Tore für die Flüchtlinge öffnete vor Schreck fast in die Hose machte, er sinnierte neulich – jetzt zum Ende der Merkel-Zeit – und sagte: Man dürfe nicht vergessen, dass die gute Frau in der DDR aufgewachsen und so ihr Handeln in der Flüchtlingskrise zu erklären sei. Eine rote Socke im Gewand einer sympathischen älteren Dame also, die all die Jahre ihrer Kanzlerschaft darauf gewartet hat, die Flüchtlinge aller Welt zu vereinen und im antikapitalistischen Klassenkampf gegen das eigene Volk aufzuhetzen? Und selbstverständlich kam der Kollege auf die bevorstehende Bundestagswahl und das Kanzlerrennen zu sprechen und er hatte sichtlich Angst um die Zukunft Deutschlands, denn wenn es SPD-Scholz schaffe und eine rot-rot-grüne Regierung bilde, dann könne es gefährlich werden, dann gute Nacht Deutschland! Dass eine Partei am entgegengesetzten, alleräussersten Rand des politischen Spektrums nicht vor Hetze im Stil Hitlers oder Goebbels zurückschreckt – das schien ihn nicht zu stören.
Ich selbst bin übrigens weder eine rote Socke, noch folge ich der Linie einer bestimmten Partei. Doch dünkt es mich immer wieder erstaunlich, wie die rote Gefahr nach wie vor in Köpfen spuckt oder zumindest abrufbar ist. Ist es schlicht das Bangen um Erspartes, um den eigenen Luxus? Dies wäre – zumindest bis jetzt – unbegründet, denn weder die Juso Schweiz noch eine sehr unwahrscheinliche rot-rot-grüne Koalition in Deutschland wird den Kapitalismus abschaffen. Und: Um eine weitere Ausbeutung des Planeten zu stoppen, das Nord-Süd-Gefälle zu überwinden und auf eine Gesellschaft hinzusteuern, die mehr Segen als Geld ist, dazu braucht es gewiss keine roten Socken. Im Moment bleibt nur die Politik der kleinen Schritte. Wie die Juso-Initiative.
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