Tinder und ihresgleichen wollen uns weismachen, es brauche nur ein paar Klicks und Skrolls, um die Liebe des Lebens, den ganz dicken Freund oder die noch heissere Nummer zu finden. In Wahrheit verdienen diese Konzerne Geld mit Einsamkeit und reduzieren das Kennenlernen von Menschen auf eine mathematische Zauberformel. Die Partnersuche gleicht, wie es das Wort schon nahelegt, dem Durchblättern eines Modekatalogs, einem sterilen Vorgang also, der Menschen auf ein hübsches Bildchen, ein paar sympathische Worte reduziert. Diese Selbstdeklaration muss mit Bedacht und Vorsicht gewählt werden, denn, wer würde es beim heutigen Zeitgeist wagen, sich als unsportlich oder – noch schlimmer – als Raucher auszugeben? Die spezielle Form des Onlineshoppings – Tinder ist nicht gratis, insbesondere für jenen nicht, der aus lauter Verzweiflung seine Marktchancen erhöhen muss – ist zwar öde, aber auch äussert bequem, und zwar so sehr, dass sie ganze soziale Milieus zum Verschwinden gebracht hat. Als Beispiel führe ich gerne die Schwulenszene an – entweder ist sie bereits ganz verschwunden oder ihre kümmerliche Reste dienen noch – wenn es gar nicht anders geht – als eine Art Bedürfnisanstalt. Man könnte dies nun als positives Zeichen im Sinne der Emanzipation werten, die warmen Brüder brauchen sich nicht mehr in schummrigen Kneipen zu verstecken, doch ist es nicht das, worauf ich hinaus will: Am Beispiel dieser offenbar volatilen Szene zeigt sich doch die zerstörerische Kraft, die der Rückzug ins Digitale für das soziale Zusammenleben mit sich bringen kann – eine einst lebendige Szene ist der digitalen Einöde gewichen. Und das sagt nicht ein alter Mann, sondern jemand, der mit dem Internet gross geworden ist. Es wird Zeit für eine Wende. Wir brauchen eine analoge Revolution!
Die Online-Falle
Aktualisiert: 2. Dez. 2021
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