top of page
AutorenbildCaspar Reimer

Die letzte Ausgabe

In einer kleinen hundsgrauen Stadt, deren Name ohne Bedeutung, auf keiner Landkarte verzeichnet ist, gemieden von jeder Menschenseele, die nicht das Pech hatte, hier geboren zu werden, weitherum berüchtigt für immerwährendes klatschnasses Hudelwetter, das jeder Lebensfreude den Garaus machte, und für den Nebel, der ewig auf dem Kaff hockte und stockte, da gab es eine kleine Zeitung, die niemand las, niemanden interessierte und einen Redaktor, der in Vergessenheit geraten war. Tag für Tag sass er in seinem gottverlassenen Büro im dritten Stock, während der Regen gleichgültig gegen das Fenster prasselte, starrte auf seinen Computer und wartete darauf, dass ihm jemand eine Nachricht schrieb.


Es war keine leichte Aufgabe, mit der ihn der Verlag, dem die Zeitung gehörte, betraut hatte, denn geschah in dem elenden Kaff doch eigentlich nichts. Die Konzernleitung würde das Blatt so lange halten, wie es etwas Geld abwarf, doch war auch er sich darüber im Klaren, dass ihm die Rolle des Totengräbers zuteilgeworden, er beruflich im Mief der Bedeutungslosigkeit versunken war. In der Bundeshauptstadt standen Parlamentswahlen an, die Zeit der Schmierenkomödien, der schmutzigen Skandale nahm gerade Fahrt auf. Las er die grossen Zeitungen des Landes, wurde ihm bange, stiess er doch bei jeder Gelegenheit auf Namen von Kollegen, erfolgreichen Journalisten, die mit dem Zentrum der Macht du auf du waren, während er sich mit einer Vorschau zum weihnächtlichen Kerzenziehen, einer Polizeimeldung über einen gesprengten Geldautomaten oder einem Gottesdienst für ukrainische Flüchtlinge zufriedengeben musste.


Wurde er nachts von Albträumen geplagt, von Kobolden verfolgt, die ihn auslachten und piesackten als wäre er der letzte Mensch, rückte ihm auf dem Arbeitsweg Scham und Bitterkeit auf die Pelle, die sich, kurz bevor er im Büro ankam, zu einer kalten Finsternis, die kein Halt und kein Boden kannte, verdichtete. Wenn er die Tür zur Redaktion mit einem wütenden Ruck aufstiess, entlud sich die Verzweiflung, griff er zur Giftspritze, mit der er wie ein Irrer auf seine letzten übriggebliebenen Handlanger, die für seine Zeitung Inserate verkauften, die er auf Grund und Boden hasste, zielte. Redaktionskollegen hatte er längst alle in die Flucht geschlagen. Es hiess, er sei als Vorgesetzter nicht mehr tragbar.


Er stellte an sich den Anspruch, eine Zeitung nach den hohen Regeln der journalistischen Kunst zu machen. Niemand sollte ihm nachsagen können, er sei kein guter Journalist, er hätte nicht das Letztmögliche aus dem kümmerlichen Rest an Zeitung, das sein Blatt war, herauszupressen versucht. Dabei arbeitete er an dem, was real möglich, ja vielleicht sogar interessant gewesen wäre, vorbei, brütete stur über seinem Blatt, seinen fixen Ideen, begegnete allem und allen mit Missgunst und Misstrauen. Er kriegte es sogar hin, friedliebende Leute, die noch an der Wert einer guten alten Dorfzeitung glaubten, die sogar eigene Texte beisteuern wollten, vor den Kopf zu stossen. Und so kam es, dass niemand mehr mit ihm, geschweige denn seiner Zeitung etwas zu tun haben wollte.


Als auch die Stadtverwaltung in einer gelassenen Selbstverständlichkeit, die ihm einer bösartigen Häme gleichkam, ankündigte, künftig keine amtlichen Mitteilungen mehr in seinem Blatt zu publizieren, nahm er zuhause seine Pistole aus dem Tresor und erschoss sich. Der Verlag stellte die Zeitung unverzüglich ein.

23 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Wintermärchen

unglück

der einkehr bedürfend, innerer sammlung und äusserster ruhe, schonung vor alltäglichkeit und briefkastenkram und allerlei ablenkungen,...

Kommentare

Mit 0 von 5 Sternen bewertet.
Noch keine Ratings

Rating hinzufügen
bottom of page