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Daniel Costantino

Die EU-Studie



Jetzt hat man doch tatsächlich herausgefunden: Das Zeitunglesen macht dumm! Mich haut das vom Hocker, muss ich sagen. Was für ein Hammer! Da habe ich nun fast jede Zeitung, die es gibt, schon einmal abonniert über die Jahre gesehen, ganz im Sinne einer umfassenden Meinungsbildung. Der staatsbürgerlichen Verantwortung undsoweiter. Und manchmal auch wegen günstiger Probeabos, geb ich zu. Aber jetzt diese Hiobsbotschaft! Und nicht von irgendwelchen Verschwörungstheoretikern in die Welt gesetzt, die alle naselang neue Untergangsszenarien propagieren. Nein, ich rede von einer seriösen Studie aus der EU, die leider zu diesem traurigen Ergebnis kommt. Ich rede von den Methoden bedeutender Wissenschaftler. Einer ist sogar Nobelpreisträger! Es ist niederschmetternd.


Ich könnt’s ja noch verstehen, wenn ich vielleicht zuviel Fernsehwerbung konsumiere, dass ich da bei einer gewissen Überdosis ... Sowas sagt einem der gesunde Menschenverstand. Aber vom Zeitunglesen? Ich meine, das kann einen schon umhauen. Ich bin nun wirklich ein eingefleischter Gazettenfresser und habe mich meiner Lebtag auf die journalistische Qualität der freien Presse verlassen. Auf die vierte Gewalt im Staate. Mir einen Restglauben an die Aufklärung erhalten. Und plötzlich ist alles null und nichtig! Schlimmer noch, ein Minus, ein Verdummungsprozess! Da kann man ja gleich die Demokratie abschaffen.


Die traurigen Fakten der Studie beweisen, dass Zeitungslektüre den Intelligenzquotienten eines Menschen unwiderruflich schrumpfen lässt. So lese ich’s, gerade hab ich’s mir auf dem Sofa gemütlich gemacht, ausgerechnet in meiner Lieblingszeitung: unwiderruflich schrumpfen lässt! Und besonders perfid: Je jünger der Leser, desto schlimmer die Folgen. Kein junger Mensch, der sich auch nur vorübergehend eine Zeitung halte, sei in der Lage, sich je wieder vollständig davon zu erholen. Das Gehirn eines Zeitungslesers, so das Forscherteam, beziehungsweise mein Leibblatt, mache schon während der Lektüre einer einzigen Nummer „entscheidende negative Veränderungen“ durch. Die gravierendsten Folgen zeitige aber der regelmässige, langjährige Konsum. Er schädige auch noch das zentrale Nervensystem unwiderruflich. Es steht wahrhaftig noch einmal so da: unwiderruflich. Mein Feierabend ist futsch.


Dass ich’s erleben muss! Die Zeitung, die ich in Händen halte, quasi ein heimtückisches Gift! Die Ablage daneben der reinste toxische Haufen! 25 Jahre lang haben die Forscher tausend Zeitungskonsumenten begleitet und ausgewertet. Sie haben sogar einige Journalisten analysiert und gemerkt, dass die genau wie ihre Leser die grösste Mühe haben, sich zu konzentrieren und hinterher an etwas zu erinnern. Dass ausserdem ihr Artikulationsvermögen schwer in Mitleidenschaft gezogen ist. Da bleibt mir jeder Spott gegen ihr ungelenkes Geschreibsel im Halse stecken. Ich habe Abbitte zu leisten und beknirsche mich. Die riskieren ja täglich ihre Gesundheit für unsereinen.


Entsetzt werfe ich die Zeitung auf den Haufen und gehe frühzeitig ins Bett. Um mich persönlich ist‘s ja nicht schade, ich habe manchen Untergang überlebt. Aber wenn ich daran denke, dass ich meiner Nichte zu Weihnachten ein ganzes Jahresabo einer Tageszeitung geschenkt habe, völlig bedenkenlos, mit onkelhaft mahnenden Worten. Sie sowieso dazu anstachle, ihre Nase in jede herumliegende Zeitung zu stecken. Damit muss umgehend Schluss sein! Ich werde gleich morgen mit ihr, vielleicht mit ihren Eltern reden müssen. Werde selber künftig von jeder Art Zeitung die Pfoten lassen.


Doch nachts sticht mich der Hafer. Ich wälze mich aus den Laken und schlurfe zum Haufen. Klaube die verfluchte Zeitung hervor. Glätte sie zurecht. Und dann dämmert es mir unter dem Schein des Nachttischlämpchens: Ich habe mich in der Spalte vertan und Erbsen mit Rüben vertauscht. Es geht gar nicht ums Zeitunglesen in dieser EU-Studie, sondern ums Rauchen von Cannabis, vulgo ums Kiffen. Achgottachgott! Schuld daran ist dieses neue, modernisierte Layout. Die haben da wieder mal alles neu designt, wie man so sagt, und wenn ich Glück habe, auch so schreibt. Alles fängt auf Seite drei mit einem Artikel über die marktbeherrschende Stellung einzelner Medienhäuser an, der dann wegen des neuen Layouts erst auf Seite 13 seine Fortsetzung findet, wohingegen eine Abhandlung über die Krankheiten traumatisierter Kriegsberichterstatter zwar auch auf Seite drei anfängt, aber auf Seite 15 weitergeht. Und genau da kommt diese Cannabisstudie ins Spiel, die aber auf Seite sieben beginnt, was ich entweder übersehen oder bereits vergessen hatte.


Wie auch immer. Alles im grünen Bereich. Meiner Nichte geht’s gut, gottlob. Vielleicht werde ich der Redaktion einen Brief schreiben und mich beschweren. Und vielleicht schadet’s nicht, wenn ich selber künftig etwas weniger ... etwas mehr Sport treibe. Soll die Konzentrationsfähigkeit im Alter bewahren und auch sonst eine rundum gesunde Sache sein.


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