Frühmorgens fuhr immer sein Bus und brachte ihn durch die Stadt in ein fernes Quartier hinüber. Schräg an die Scheibe gelehnt sass er alleine im Bauch des Wagens, dem ruhigen Brummen hingegeben, das er zuweilen erwiderte, sah die Lichter am Fluss aufschimmern und warm in den schläfrigen Wellen sich spiegeln. Gelb war am Ufer die Nacht, Schulter an Schulter standen die Häuser bei den Laternen. Aus dem Dunkeln hervor spannten sich Brücken und schlugen Bögen ins Schwarze zurück. Wie der Bus in den Kurven ihn schaukelte und ächzte in den Gelenken, eine Deckenlampe grell ihn erhaschte und wieder verstiess, so spielten seine Gedanken in den Schatten, tauchten auf in die Helle und verschwammen mit ihm in der Tiefe. Alles verlor sich wie Wellenschlag in der Nacht.
Er schob seinen Mantel zurecht, den Hut. In Reihe und Glied reckten vor ihm die Sitze ihr Haupt, die graue Luft kämmte Fäden gegen die Fenster des Wagens. In der Mitte knirschte der wulstige Balg, zog die Falten zusammen. Röhren stimmten sich ein in seinem Schacht, erstickten im Vibrieren des Bodens. Hob sich draussen ein Fels und verschluckte den ganzen Kasten, der Balg brach wie ein Gitter zusammen, ein Radiator heizte sich auf, Girlanden stiegen zur Decke, Rundfunkgeräusche, Chiffren in deutscher Grammatik. Daraus ergab sich ihm ein Gemeinsinn, in der sausenden Fahrt ein Geflecht von Regeln und Schaltern, das jedem Hirn eingebrannt war und auch die Stadt ausmachte, die ihre Kabel eng über die Dächer spannte und Puls für Puls genau gleich jedem Haus den Strom zuteilte. Sobald es tagte, sprang aus der Steckdose der Funke, das richtige Denken schoss in die Hirne, und mit den Strahlen der Sonne schoben sich auch die hinteren Winkel der Stadt aus ihrem Schlaf, rutschten in die vorderen Gassen, die vorderen Gassen schienten sich ein in die Strassen, und die Strassen wurden zu den Sammelplätzen gewiesen und von dort in alle Richtungen zur pünktlichen Arbeit befohlen.
Der Bus fuhr über Kopfsteinpflaster, die City rauschte Klotz an Klotz an ihm vorbei, Bande von Schwarzem und Schatten; Balkone traten ans Licht, Autos mausgrau in sturen Reihen parkiert. Seinen Kopf am Fenster bestrich eine kühle Allee, er neigte zur Seite, fiel im Spiel des Nackens sorglos nach hinten, touchierte den Kragen des Mantels, den Kegel der Lampe. So war er bald wach, bald schied sich, was ausser ihm war, wieder von dem, was in ihm geschah. Er streckte sich müde gegen den Himmel gelehnt, verlor sich mit offenem Mund; fand sich im Kegel des Lichts und im Wagen, eins mit der Fahrt und der Nacht. Die Scheiben begannen zu sirren, drückten gegen die Fugen. Der Bus bremste ab, wendete, schnaufte und stach mit Kraft wieder voran. Durch diese Kraft schossen Sterne aus dem Kegel hervor, flackerten gegen die Wand, Schweife banden die Fäden der Luft, Reigengestalten führten ihn in die Mitte. Er fügte sich ein und sie fügten sich ihm. Dann sank er ins Polster zurück, mit einem matten Gedanken, stechmückenklein: dass etwas sein Eigenes bleibe, was er von allen Anderen hatte; dass er zu allen gehöre, weil sie Teil von ihm selber seien. Doch als er ihn grossmachen wollte, weil er ihm garnicht so klein erschien, war er nicht mehr Gedanke, nicht mehr von ihm, war etwas aus leuchtender Pappe vor einer Häuserflucht, die zurück in den Nachtschatten fiel. So blieb er im Polster alleine, ein Stillstand gewordener Stoss, dessen Auslaufen im Kreis sein blutleeres Denken bestimmte.
Der Bahnhof wankte auf glühenden Stelzen, ein weisses Geländer knüpfte sich durch die Nacht. Am Fenster, es schnurrte so sanft, kühlte sein Ohr. Er wähnte sich über Gärten und Hänge gelegt, geschichteter Lehm, gezackter Stein, aufgeschabtes Geflecht. Wuchs wie ein Turm in die Höhe und dachte sich von der Spitze hinunter, Wirbel um Wirbel an sich selber hinunter dem Rücken entlang, wandelte sich in den Jungen, der er einmal gewesen, berührte den Boden, strich mit der Hand über die Erde. Auf einem Feld war er gestanden und der Weizen wuchs ihm bis an die Brust. Ein Weg schlängelte sich, der Himmel trug die fette Sonne über das Korn. Dann war Wind aufgekommen, bauschte sein Hemd, kühlte die nackten Beine. Das war ihm geblieben, dieses Gespür für den Wind auf der Haut.
In Scharen von Schatten floh durch die Scheiben die Gegend davon, Krusten färbten den Himmel, rüder Dämmer riss auf, lichtlose Knoten und Flecken von Schmirgelpapier. Ein Hügel rutschte halb in den Morgen hinein, eine entblösste Parzelle, Bungalows dösten auf kleinen, gescheitelten Wellen wie auf Pfoten. Es wurde hell. In die Fahrerkabine getupft sass ein ruhiger Chauffeur, passierte eine Haltestelle, bremste ein wenig und gab gleich wieder Gas, da nichts um das leere Kabäuschen sich regte.
Hinten im Bauch schwebte er lange über den Wassern, und das Wort war bei ihm und sein Hauch. Da blies eine helle Posaune, ein gewaltiges Blau verspritzte den Himmel, die Sonne klatschte in die Fahrerkabine, und er warf jäh seinen Hut, tanzte steckenbeinig ins Feld, ergoss sich ins gelbe Gewaber, zerfloss. Aber dann erstickte das Wort, stockte sein Blut, im Lehm lag er darnieder; und endlich kam er noch einmal zu Schnauf, schnarchte er wieder, blähte sich im verschrumpelten Sitz, als wär er der wulstige Balg, schrumpfte, verbrummte mit ihm, füllte sich zu seiner Zersprengung, die wieder der Anfang und wieder das Leben war.
Sie fuhren dahin, er streckte sich aus, der Hut drückte an die singende Scheibe; der Fahrer war jetzt ein Klumpen, an dem die Sonne sich rieb und eine Schulter in ihr Schwemmland verzog; fuhren dahin, bis an den Rand hatte das Blau den Himmel verspritzt, von der Siedlung war noch manchmal ein Haufen zu sehen, ein Büschel Park, eine Haltestelle wie in die Wüste gelegt, der immer fetteren Sonne zum Frass; kaum tat der Chauffeur etwas dergleichen, liess er vom Gas, lenkte er auf dem staubigen Weg noch den Wagen, der sich hob und sich senkte mit der Pranke der Sonne.
Es kam kein Halt mehr, wohlan. War es ihm wohl, war alles gut. Die Röhren begannen zu pfeifen, der Bus war ein Autobahnritt, rüttelte, tobte, stand Kopf. Den verschummerten Kegel packte die Sonne, kratzte ihn weg, leerte den Schacht in die Ebene aus.
Ihm konnte nichts geschehen im Schlaf. Er hatte das Wort, verschmolz mit dem Wort. Den Mantel streifte er ab, ein Segel, das der meerblaue Himmel verschoss. Der Schacht füllte sich wieder, verschmatzte den Balg, ein flammender Kran hob vorne den Fahrer aus einer Versenkung. Hinter den Wimpern strich sich das Meerblau dünn und zog sich durch das Gestühl. Der Knitterbalg sengte und blies.
Da kippte das Blau, mit einem Ruck stand der Bus. Palaver war durch die Wände geplatzt, auf die Sitze geschossen. Ein Klotz drang auf ihn, er packte den Mantel, nichts als ein Rumpf, fand den Tritt zum Wagen hinaus. Gelber Schleim war der Morgen, Rotz, der den Tag beschneuzte und alles, was jetzt noch kam. Ob ein Nichts, ob ein Hauch, er ging seiner Arbeit entgegen, Hut und den glattgestrichenen Mantel im Arm. Der Rest hatte keine Bedeutung mehr.
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