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AutorenbildCaspar Reimer

Die Aggression des Spiessers

Kürzlich war ich von Freunden an eine Militärparade eingeladen worden. Die Veranstaltung nennt sich zwar Musikshow und man möchte den Formationen, Musikkorps und königlichen Gardisten keinesfalls ihr Können und den Veranstaltern das Bemühen um eine fulminante, mit visuellen Raffinessen bis ins kleinste Detail durchgeplante Darbietung absprechen. Doch der zumindest paramilitärische Charakter des Events ist offensichtlich, steht er doch unter Schirmherrschaft des Schweizer Verteidigungsdepartementes. Die Ambivalenz zwischen dem Bedürfnis, den Gefühlen, welche die Show zu erzeugen vermochte, nachzugeben und meiner tiefsitzenden Abneigung gegen alles Militärische versetzte mich im ersten Teil des Events in einen inneren Zwiespalt, ja gewissermassen in einen Zerknirschungszustand.


Ich konnte das, wofür alles Militärische in seinem historischen Zusammenhang, in letzter Konsequenz und bar jeder Beilage steht, nicht ignorieren: Die Ausübung von Gewalt an all jenen, die wahlweise als Untermenschen, Volkszersetzer oder Gefährder der öffentlichen Sicherheit gelten – sei dies in Zusammenhang mit der Ermordung und Vertreibung von Millionen von Menschen durch königliche und kaiserliche Armeen während der Kolonialepoche, der Ausübung des Völkermords durch Nazischergen in Uniformen an den europäischen Juden oder im Gewand der Polizei mit der Schikane und Inhaftierung von Minderheiten bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein. Und auch heute sind es die Truppenkörper, die Gewalt gegen in Europa unerwünschte Menschen durchsetzen. Die Gewalt ist Grundessenz von Militär und Polizei.


Jedoch bin ich weder Unmensch noch Ideologe und durchaus fähig, jenseits bipolarer Extreme zu denken. Ich gab mich deshalb im Laufe des Abends der Musik, die teilweise Rührung in mir zu erzeugen vermochte, hin - das Militärische abzulehnen bedeutet nicht, dass ich mir Musik, der dieser Drill anhaftet, verbieten muss. Die Kunst, Widerstände und Widersprüche auszuhalten, liess mich den inneren Zwiespalt fallen und dem Konzert ganz mein Ohr schenken. Einzig beim Abspielen der Nationalhymne übte ich mich in stiller Zurückhaltung und tröstete mich damit, dass kaum jemand im Publikum den Text mitsang.


Der harte Aufprall in den Niederungen der Realität folgte leider gleich am Ende der Vorstellung, als eine Dame, die neben mir sass, mit einem wie von Gottes Gegenwart gerührten Blick an meine Seite trat. Wie wunderschön das Konzert gewesen sei und im Gegensatz zu vielen anderen sei sie stolz, eine Schweizerin zu sein. In einem heiligen Zorn fuhr sie fort: Alle, die es wagen, die Schweiz zu kritisieren, sollen wieder dahin gehen, wo sie herkommen, sich anpassen oder verschwinden, am schlimmsten seien zwar die Russen, aber auch die Ukrainer keinen Deut besser und überhaupt – . Da stand ich also: Hatte mich geöffnet, mich der Musik hingegeben, halbwegs mit Publikum und dem Geist, den es umgab, angefreundet, um dann wieder ganz gehörig die Suppe versalzen zu bekommen. Die selbe Frau hatte bereits kurz vor Beginn der Show über Leute geklagt, die ihren Abfall, statt ihn wegzuräumen, einfach am Platz liegen liessen - früher sei dies anders gewesen und wo denn eigentlich der Rest an Anstand in der Gesellschaft geblieben sei.


Was diese Frau und jene Leute, die ihr lauthals zustimmen, unter Anstand verstehen, passt in ein kleines Raster und ist an Engstirnigkeit nicht zu überbieten. Zwar sehe ich darin nichts Falsches, den eigenen Dreck aufzuräumen, doch die hitzige Aufwallung aufgrund von Kleinigkeiten, das Predigen von Anstand, ja sogar Liebe, und die gleichzeitige Aggression gegen alle, die sich nicht an gängige Normen halten, bildet die Essenz des Spiessers. Ohne Not verbeisst er sich in das Liedchen von Recht, Ordnung und Anstand, das ihm schon als kleines Kind in die Wiege gelegt wurde. Er macht sich die immergleiche Leier der Hetzer zu eigen, singt tagtäglich ihr Lied und säuft ihre schwarze Milch. Er sieht sich als letzte Bastion von Recht und Anstand, nimmt seine Bürgerpflichten besonders ernst und ist ausgezeichneter Gefängniswärter seiner Selbst. Wenn die Sicherheitsorgane wieder mal nach mehr Waffen rufen, ist sich der Spiesser - ­ hündisch demütig wie er ist - nicht zu schade, schrill, lautstark und im Namen des Anstandes gegen jene zu hetzen, denen die Polizei an den Kragen will.


Eine Militärparade mit nationalem Tamtam und Getöse verpasst dem tristen Dasein des Spiessers, der nie über den Tellerrand der eigenen Suppe hinauszuschauen traute, etwas Rausch und Glanz. Und das Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen.

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