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Daniel Costantino

Des Fischers Liebesglück

Unkanonische Betrachtungen zu Schubertliedern

Teil 1


Des Fischers Liebesglück


Dort blinket durch Weiden Und winket ein Schimmer Blaßstrahlig vom Zimmer Der Holden mir zu. Es gaukelt wie Irrlicht Und schaukelt sich leise Sein Abglanz im Kreise Des schwankenden Sees. Ich schaue mit Sehnen Ins Blaue der Wellen Und grüße den hellen, Gespiegelten Strahl. Und springe zum Ruder Und schwinge den Nachen Dahin auf den flachen, Kristallenen Weg. Fein Liebchen schleicht traulich Vom Stübchen herunter Und sputet sich munter Zu mir in das Boot. Gelinde dann treiben Die Winde uns wieder Seeeinwärts zum Flieder Des Ufers hin dann. Die blassen Nachtnebel Umfassen mit Hüllen Vor Spähern den stillen, Unschuldigen Scherz. Und tauschen wir Küsse, So rauschen die Wellen Im Sinken und Schwellen, Den Horchern zum Trotz. Nur Sterne belauschen Uns ferne und baden Tief unter den Pfaden Des gleitenden Kahns. So schweben wir selig, Umgeben vom Dunkel, Hoch überm Gefunkel Der Sterne einher. Und weinen und lächeln Und meinen enthoben Der Erde, schon oben, Schon drüben zu sein.



Karl Gottfried von Leitners formal anspruchsvolles Gedicht – Anfangsreim der jeweils ersten und zweiten Zeile, dazu Endreim bei nur zwei betonten Silben pro Zeile, eine Reimübung auf dem Quivive – präsentiert sich nicht ohne Makel, gefällige Glasur hin oder her. Der Schimmer blassstrahlig vom Zimmer, sein Abglanz im schwankenden See kündet von einer nächtlichen Idylle, was von den blassen Nachtnebeln und dem seligen „umgeben vom Dunkel“ im Verlaufe des Gedichts bezeugt wird. Wie nun das Tagesblaue der Wellen in der Landschaft?

Und wozu schaut der Junge voll Sehnen auf den Strahl im See und nicht gleich zum Haus seines Mädchens? Sehnt er sich nun nach den Wellen? Dem Strahle? Dem Mädchen?

Ich glaube am ehesten, Leitner macht glauben, er sehne sich nach der Poesie.

Die Winde treiben wieder seeeinwärts – bevor die Sache mit der Bootsfahrt richtig losgegangen. Liebchen ist doch erst gerade zugestiegen. Und schon sind wir „wieder“ beim Flieder des Ufers. Eine verblüffend abgekürzte Sache, eine Rudimentärpsychologie Schlag auf Schlag.

Der schwankende See und die gelinden Winde verhalten sich etwas ungefügig zueinander. Man ist versucht, sich ein kippendes Seebett vorzustellen mitsamt Überspülung des kenternden Kahns im weitern Verlaufe als dessen leichtes Schwanken in lieblich plätschernden, kaum wirklich rauschenden Wellen. Es küssen sich zwei innig ineinander verliebte, lebensfrohe Menschen und nicht zwei mit Todesverachtung Untergende im Sturm.

Poetisch doch eher ein Aufundab von Einfällen und Niederfällen, Nähfehler wie das Reimpaar Nachen (mit langem A) und flachen (kurz) eingeschlossen. Das hochangesetzte Gleichnis der zwei Schlussstrophen und das Sternengefunkel, ein Alltagsfetzen aus der Klamottenkiste, ein fast abschätziges Wort, passen auch nicht recht zueinander. Das eine diskreditiert das andre.


Aber Schuberts Lied nun dazu! (Nachlass, Lfg. 27.) Das ist erfühlte Stimmung, nicht Dekor. Poesie, die beim Komponieren selbst entsteht, und die nicht, in den Hirnzellen vorgelettert, wie losgelöste Feinstaubpartikel aufs Papier niedergekommen. Tragende, ineinandergreifende Farben, Töne, Bewegung. Keinesfalls dieses kitschelnde, nur-Selige des Gedichts, diese polierte, saubere, mit Ruhebänklein versetzte Promenade für Sonntagslangweiler, von der jedes stück Natur rausgehauen, ferngehalten, wo nicht zweckdienlich, und wie komfortabel! zurechtgestutzt.

Ein Strophenlied, nicht durchkomponiert. Sechsachteltakt, auf 1 und 2 punktierter Sechzehntel, im Wechsel mit punktierten Achteln. Der eine Sechzehntel löst sich von der Punktierung zum Zwillingsgespann, ein Zeilenende zu durchgehenden Sechzehnteln, indes das Strophenende jeweils aus durchgehenden Sechzehnteln besteht, gefolgt von über den Taktstrich verbundenen Schlägen, einem ganzen, einer Viertelnote, einer Achtelnote, zwei Zweiunddreissigstelschlenkern und darauf noch ein langatmiger Schlussviertel, ein durch stilgemässe Ritardierung sehr langatmiger. Recht agogisch zu singende Melodie, ritardierende Stellen, munterer, leicht accelerierender Wellenschlag wieder, melodische Höhepunkte mit Halbtonvertiefungen. Typisch schubertsche Dur-Moll-Irisierungen, ein ruhiger, steter Grund das Klavier.


Seltsamerweise wird meist die zweite Strophe (im Gedicht Strophen vier bis sechs) beim Vortrag weggelassen. Mir ist jedenfalls nicht erinnerlich, sie je gesungen gehört zu haben. Falls das an der Peinlichkeit des Textes läge, was ich nicht glaube: viel besser sind auch die andern Strophen nicht. Der Text ist völlig unwichtig, weil er wertlos ist, weil er Gefühlsklischees bedient und die Sprache, das Sentiment, die Natur selbst zum Zuschauer nimmt, die dem Dichter applaudieren soll. Man achtet seiner Worte während des gesungenen Vortrags nur wie zufällig, wie in tranceähnlichem Zustande einer Beschwörungsformel. Flüchtige, fliehende, flugs lockende und wieder verschwindende Reize in Schuberts betörender Musik, die alleine weder Bestand haben noch Zusammenhalt.

Es ist eine tiefe, bewegende, von Moll zu Dur und in doppelt verminderten Akkorden erklingende Musik, die sehr stark mit dem Oberflächlich-Verliebten und dem eindimensionalen Gehalt des Textes kontrastiert, der nur eine einzige Gefühlsebene, und die noch mehr scheinbar als echt, beschreibt. Ja, sie überhaupt nur beschreibt und gar nicht wirklich entstehen lässt. Sie geradezu nicht zulässt. Als hätte der Schreibprozess nicht stattgefunden, sondern sei alles in abstracto zuvor fixfertig im Kopfe gewesen und auskalkuliert wie eine manipulierte Buchhaltung rein geschäftlich am Tische behandelt worden. Beim Hören des Lieds spielt das indes eine kleine oder keine Rolle. Vielleicht eine Weghörübung aus der Gewohnheit, ein Kontrollverlust, um nicht enttäuscht zu werden. Die Musik scheint elementarer zu sein als jeder Text. Und es entsteht mir auch nicht der Eindruck, durch die Musik werde das Wort nun veredelt und über sich selbst emporgehoben. Es ist die Musik alleine, die höhere Aufschlüsse bietet. Schubert hat das eigentliche Gedicht geschrieben. Der Text aber wird eingesogen, aufgelöst und weggesungen. Man erinnert sich nur an die Musik, und das mit vollem Recht.


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