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Der See

Als hätte man seinen See bespuckt. Natürlich war das Gewässer nicht seins, aber Zeit der Erinnerung ein guter Freund. Spazierte er aus dem Quartier hinaus, strich der Wind vom Wasser den Hügel, tanzten seine Fingerspitzen die Ritzen der Backsteinmauer zum See bergab. Alles schien selbstverständlich. Er dachte nie darüber nach.


Jetzt aber kehrte der Wind. Im Hinterland krakeelten Politiker, der See trage den falschen Namen. Erst schien es ihm ein flauer Scherz, ein viraler Hype, nichts Ungewöhnliches in der Zeit. Trotzig also blieb er auf seiner Bank am Ufer sitzen, wie er das jahrein jahraus getan hatte, stur den Blick zum Wasser, laut die Musik in den Ohren. Er würde sich von den Miesepetern nicht den See verderben lassen.


Doch alsbald wie auf Befehl veränderten sich die Menschen ums Gewässer herum. Bekannte, Arbeitskollegen, Freunde, solche, mit denen er einst Sandburgen gebaut hatte. Ihm schien, als sei ihnen der See nicht mehr wichtig, als wäre er unsichtbar geworden. Stattdessen wurde am Ufer die Fahne gehisst. Scheinbar gab es Streit mit den Anrainern auf der anderen Seite.


Anfangs liess man ihn auf seiner Bank gewähren. Alte Bekannte klopften ihm beim Vorbeigehen die Schulter, doch wurden Gesten stets angespannter, Besuche kürzer und nie kam mehr als einer allein vorbei. Es müsse sich halt was ändern, sagte einer verkniffen, der einst Freund zum Pferdestehlen war. Er solle sich doch nicht das Leben schwer machen. Als irgendwann keiner mehr kam, pfiff auch er auf den verdammten See und räumte das Feld.

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