top of page
Daniel Costantino

Der Nachmittag



III Die Tauben


Bei der Tankstelle raschelte es. Ein Taubenpaar schoss vom Zeitungsregal unters Betondach, stiess den Kopf daran, kam nicht weiter, schlug mit nervösem Gezatter um sich, versuchte es wieder, stiess doppelt den Kopf daran, stiess noch einmal den Kopf daran, schrie auf, flatterte panisch herum; eine dritte Taube, vielleicht wieder die erste, mischte sich darunter, geriet schreiend an die Decke, stiess den Kopf daran, schreckte zurück, rauschte mit den zweien voll Irrsinn im hohlen Rund; und schon fuhr aus den geschichteten Zeitungen eine nächste Taube jäh in die Höhe, zatterte mit wütenden Schlägen, knallte wieder mit dem Kopf gegen das Dach, mit dumpfer Wucht gegen das Dach, prallte zurück, knallte gegen das Dach, bis sie wie ein Lappen absank und in eine der kreisenden drei geriet, aufschreckte, selber nun kreischte, gegen die andere zankte, bellte; die übrigen zwei flogen wie Geschosse heran, zeterten mit. Aber noch ein halbes Dutzend weiterer Tauben wühlte sich aus den Zeitungen hervor, brätschte zum Haufen hinauf, tätschte ans Dach, torkelte rückwärts, tätschte ans Dach, knatterte mit den Schwingen, verfing sich im Knäuel der andern, zarrte und zeterte, Federn und Fetzen stäubten davon, Salven peitschten, wirbelten im Kreis, alles schäumte empor, stürzte hinab, rauschte wie tosendes Wasser.

Das Gestell mit den Zeitungen, von den Vögeln gerammt, ihren Manövern hart gestreift, durchschossen, hatte sich schräg verschoben. Die lockersten Blätter bauschten sich in den Luftwirbeln auf, gerieten mit in den Sog, drehten sich nach dem Wind, wurden von den Vögeln zerstochen, wie von Granaten in Stücke gehauen. Jetzt blähte sich auch der untere Haufen unter Wellen und Konvulsionen zu einem mächtigen Bauch, der noch einmal eine Brut Viecher gebar und schliesslich platzte, in hundert Lappen und Fetzen flog und seine Ausgeburten nach oben katapultierte. In der wiederaufschreienden, auf die Neuen eindreschenden Meute ein Hagel von Papierfetzen und Taubenfedern, geschreddert von den Schnäbeln und Schwingen der Tiere, zur Decke gestäubt, an die Petarde um Petarde die neuen Tiere klatschten, abprallten, heranknallten, taub in die Schneie sanken; schoss Flattergetier, sank Zeitungspapier in den schreienden Spiess, sank Mausgrau, stieg Weissschwarz aus den fanatischen Viechern in Fontänen wieder hinauf, touchierte das Dach und legte sich langsam über das Schlachtgetümmel.

Auf einmal war alles zu Ende, die Tauben hatten die Lücke gefunden, waren mit Geknatter unter dem Betondach abgezogen. Am Boden zurück blieb ihr Dreck, ihre Schwitze, klebten Schlieren von Flaum und gerupften Federn, rollten sich Zeitungsfetzen, lag das zerstochene Papier, die ganze durchlöcherte Schwätze. Der nackte Zeitungsständer stand verdreht und gefedert.


Der Junge auf dem Trottinett kehrte zurück, sah die Bescherung, sprang von seinem Gefährt wie ein Cowboy vom Pferd, das einfach zur Seite kippte und ausklapperte, pirschte ans Schlachtfeld heran, ging in die Hocke und stocherte mit einem Schlüssel aus dem Hosensack im Unrat herum. Als er das Regal untersuchen wollte, trat der Pächter aus dem Kioskladen heraus, mass die Schweinerei am Boden, das Regal im Taubenstaub und den Jungen daneben, drehte sich hinter die Tür, kam sogleich mit einem Eisen in der Hand wieder hervor, kam ins Laufen, stiess sich am umgekippten Kessel vor dem Kiosk, glitt auf der schmutzigen Pfütze beinahe aus, fluchte, schwang jetzt das Eisen und wollte dem Jungen ans Leder. Aber der war längst schon beim Pferd und gab ihm die Sporen, raste davon, schlug ein riesiges Rad in der Luft, jauchzte und raste im Zickzack über die Strasse davon.

In dem Moment fiel er von einem Riesenrad, das sich pfeifend drehte, fast zu Tode. Es gelang ihm gerade noch, die Hände unter dem Gesäss zu befreien und sich damit an der kleinen Mauer abzustützen, auf der er sass, hellwach geworden. Die Strasse war ruhig und leer, an einer Häuserreihe schoss ein Junge auf seinem Trottinett entlang. Die Sonne brannte auf den Asphalt. Von der Tankstelle strich ein Windhauch herüber. Die Zapfsäulen standen im öden Gelände. In seinem Schmutz lag auf dem katzgrauen Boden ein Kessel. Er erhob sich von seinem Mäuerchen, griff mit der Hand den Stock und nahm das letzte Wegstück unter die Füsse. Nach Hause war es jetzt nicht mehr weit.



13 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Wintermärchen

unglück

der einkehr bedürfend, innerer sammlung und äusserster ruhe, schonung vor alltäglichkeit und briefkastenkram und allerlei ablenkungen,...

Comments

Rated 0 out of 5 stars.
No ratings yet

Add a rating
bottom of page