II Der Weg nach Hause
Er ging den anderen Weg nach Hause zurück, seinen Stock schwang er dazu. Zeit hatte er, und wenn sonst keiner sie hatte. Ein junger Baum trug ein Gitter am Stamm, hier wollte ein Hund nicht scheissen. Die Strasse holperte, schief steckte in einen Rasen geschlagen ein Zaun.
Die Bäckerei an der Ecke, dritte Generation, der Vater, der Sohn, jetzt der Enkel. Schule, Lehre, ein- oder zweimal die Liebe. Man macht’s, wie man’s macht. Über dem Laden wohnen. Unter dem Laden backen. Der Trott war das Glück und die Schwielen an den Händen. An Blumenbanden ums Haus herum, aus dem Kellerfenster roch das frischgebackene Brot.
Kam eine kleine Allee, da standen zwei Frauen, hochgesteckte Frisuren, Waschmitteltrommel im Arm die eine, trugen Röcke schwarz und beige, Handtasche am Ellenbogen die andere; siezten sich, runzelten sich, streckten den Rumpf. Schwarz lachte hellauf, am Ellenbogen kicherte die Handtasche mit, Beige mit der Trommel hielt sich die freie Hand vor den Mund und verschob dazu ein Bein nach hinten. Sonnenstrahlen sprenkelten auf den Boden, auf die ovalen Damenschuhe in Positur, umglitzerten die Strümpfe, züchtige Stützen der Gesellschaft, färbten die Röcke, stiegen an den Frauen hinauf zu den gesteckten Frisuren, darin Haarnadeln aus buntem Geperle, befunkelten auch sie und das flunkernde Reden, hoben den Glitsch an die Baumkronen empor, und als er sie überstieg, streifte ein wollenes Schaf aus den Lüften heran und leckte ihn weg.
Im Bogen um die Umflorten.
Gegenüber ein Rucksäckleinhaufen, stand im Kreis vor dem Discounter, fröhliche Mützen, Wanderer, die Durst hatten. Zwei aus der Gruppe betraten den Laden, Aktion frisches Gemüse, um den Kassentisch türmten sich Schachteln, kaufen Sie Produkte aus der Region.
Grossvater grüsste vom Rinderhorn, Naturfreundehütte, schrieb Postkarte Gruss und Kuss. Dann schloss sich die Ladentür. Der halbe Samariterverein hatte unterschrieben. Bis aus einem Hinterhof ein Mofa schoss und ihm, der da im Weg stand, fast in den Rücken fuhr. Er wollte sich wehren, da war es schon auf die Strasse eingebogen. Weitergehen. Die Begegnung am See. Er glaubte, Mutter und Kind lebten allein. Da tönten auf einmal die Lieder. Er wandte sich um. Grossvaters Samariter sangen im Kreis. Mit Getränken und Glacen kamen bald die zwei Abdelegierten aus dem Laden wieder heraus, stimmten mit ein. Die Buchfinklein hüpften, dann war das Lied zu Ende. Die Erfrischungen wurden verteilt, zizi will will will. Kurz lüfteten sie die Mützen, verschoben sie anders. Die Haare klebten wie Säuglingsfrisuren auf den Köpfen. Mit Glacen und Flaschen zogen sie weiter, wahrscheinlich zum See hin. Ein wenig rauschte ihr Palavern, wie Rufen und Tollen in einem Schwimmbad. Die Strasse glättete sich. Er ergriff wieder den Stock.
Die Metzgerei. Unsere Leidenschaft Fleisch. Betriebsferien aber, ein Foto von einem überfüllten Strand. Liegestuhlkolonien und brütendes Volk. Dolcefarniente schwitzen. Hier rannte kein Jogger ums Meer. Ein Pinguinstrand, ein Metzgerstrand. Die Angst des Kindes vor ihm. Doch erlöst im Lachen der Mutter: gioielleria.
Der Frisör, Schaufensterposter Mann mit Bart und Sonnenbrille, Ablage voll Spielzeugautos. Der Sohn des Hauses studierte Chemie, sie waren ins Gespräch gekommen einmal. Laden rentiere nicht mehr. Dafür wuchs die Nachfrage nach dem jungen Mann, munter und zärtlich war er, er liebte die Menschen und sie liebten ihn.
Ein Radfahrer pedalte heran, blickte ihn an, pedalte weiter. Ein Fenster wurde geschlossen. Die Strasse war leer.
Von der Tankstelle strich ein Windhauch herüber. Unter dem Dach aus dickem Beton, das sie halb in den Schatten nahm, standen die zwei Zapfsäulen stramm, akkurat aufgeschossene, bis an die Decke reichende Apparate, die Schläuche im Halfter. Zwischen ihnen, ein schmächtiger Tokkel, der Geldautomat prall an der Sonne und wie eine Zwiebackdose zu seinen Füssen ein Abfallbehälter. Eine Kabelrolle lag herum, reglos hinter den Säulen versteckt der kleine Kiosk, mehr Wanne aus Stein als Kiosk. Wer ihm die Nase an die Scheibe drückte, erkannte das Schummerlicht im Laden und manchmal den cholerischen Pächter, der Witterung aufnahm. In seinem Schmutz auf dem katzgrauen Boden beim Eingang ein Kessel, an der Mauer lehnten metallene Stäbe und steckte ein Reisbesen in seiner Zwinge. Nach Vorschrift ein Plastikkübel an einer Säule befestigt, die Zeitungsablage hingestellt, ein schlichtes Regal auf Rädern mit den täglich gleichen und grauen Berichten. Ja, von hier wehte der Wind, von diesem Streifen Niemandsgeist im Quartier.
Er hörte wieder ein Zirpen, sein Schädel fühlte sich weit, spannte die Trommel. Er fuhr sich über die Stirn. Asphalt schieferte auf. In der stechenden Sonne schlief im Stehen der Tokkel, das Zählwerk erstarrt im Weiss seiner Augenpartie. Und der Gehstock flimmerte durch die staubige Luft, glitzerte über der Strasse, streifte den Tokkel, schwebte zu einer Säule, kitzelte ihre Schläuche, dass sie sich schlängelten, zischten, aus dem Halfter schnellten, Benzinhauch züngelten, allerlei Schabernack trieben mit dem steifen Apparat, sich mutwillig vertauschten und durcheinanderbrachten. Da geriet aber die Säule in Harnisch, schnaufte, pflopfte; eine scharfe Drehung nach links, eine nach rechts - husch husch gehorchten die Schläuche und hängten sich ein, wo sie hingehörten.
Er schloss ein paarmal kräftig die Augen und öffnete sie gleich wieder, liess sich am Stock, der tat, als wäre nichts gewesen, auf eine niedere Mauer gleiten, legte ihn neben sich und schob die Hände unters Gesäss. Ein Wagen war drüben herangerollt, der Fahrer stieg aus, zahlte dem Tokkel das Geld, tankte an der anderen Säule und stieg wieder ins Auto. Da glitschte ein Trottinett über die öligen Pfützen am Boden und kurvte um das Auto herum, ein Junge wie ein Pfeil unter der Sonne. Schenkelschön stiess er an, stiess er sich vom Boden weg, die Arme fest an der Lenkstange, tauchte in den Schatten, sauste ins Licht, slalom am Zeitungsregal vorbei, ging in die Hocke, zweigte ab und war um eine Ecke herum verschwunden. Eine Taube flatterte auf. An der Zapfsäule wurde der Motor angelassen und das Auto bog in die Strasse ein. Er schaute zu, wie ein kleiner Streifen aus Dunst über dem Asphalt hängen blieb, sich auflöste, verstrich. Wie der Himmel seine Fäden spann und das Quartier brach lag. Der Tag, der Trieb. Das ganze gewesene Leben.
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