Schon gehört? Der „Blick“ macht Fernsehen, selber jetzt Fernsehen! Ene mene muh - zweimal klick und drin bist du! und stehn dir wie aufgedonnerte Huren die Schlagzeilen in Reih und Glied, die frischen von heute, die späten von gestern und die ganz alten zuhinterst. „Gibt es heute Öffnungen?“ schmachtet es hier, „Der Vulkan von La Palma bricht aus“, zirpt es von da. Nanana!
„Was bedeutet der hohe Preis für die Schweizer Bevölkerung?“ Ach der Ölpreis ist gemeint. Wie prosaisch. Und so rückt halt die Aufklärung ins pralle Licht, indes die Anzüglichkeiten sich am Rand des Bildschirms, in den sinisteren Gässchen des Internetstegs sammeln und aus dem Schummer hervorleuchten wie stellare Botschaften aus der Tiefe des Raums: die derniers cris der Werbebranche, algoritmisches Flirren, blinkender Tanz und Firlefanz, wie genau du ihn verdienst und der sich haargenau an dir irdischem Deppen verdient.
Dass natürlich das grosse Amerika dem Unternehmen Pate steht, verrät die orto germanish graphy: Blick TV bindestrichlos. Da erscheint die Majuskel im Begriff Schweizer Bevölkerung wie Koketterie. Aber in Zukunft schreibt sich Polit und Profit eh auf Chinesisch.
Faites vos jeux! Klicks Nachrichtensendung - blick! blick! - fängt an.
Erst aber ätsch! Interruptus mit Emmi-Werbung. „Für ein gutes Körpergefühl!“ O der Humor der Branche. Und klickst du auf Anhalten, öffnet sich in einem neuen Fenster die Homepage von:
Emmi good day - laktosefreie Produkte!
Play + Win - gewinne mit good day täglich tolle Preise!
von allein. Akzeptier halt die Cookies, tu nicht so blockiert. Du musst dein Glück schon selber wollen! Play and Win, jetzt mitmachen, klick.
Jetzt kannst du auf Schliessen drücken, siehst du, so geht’s. Zurück zu Blick, da steht immer noch, von dir angehalten, die ursprüngliche Emmi-Werbung.
Für ein gutes Körpergefühl
Klick drauf. Endlich ist Emmi verschwunden. Jetzt Blick? Nein, andere Werbung, klick! Emmi passé:
Jetzt Retourenpakete zu Hause abholen lassen. Jetzt anmelden. Die Post.
Arrête, Imperativ! Zum Hohn aber wieder ein neues Fenster. Es lässt sich nicht sofort schliessen: Willste Cookies? Jaa, bitte bitte. Alle zu mir!
Pakete und Retouren abholen lassen. Mit pick@home.
Briefe versenden, Pakete versenden, Empfangen, Standorte, Geschäftslösungen.
Wegmachen. Schliessen! Zurück zum Morgen auf Blick TV. Aber:
Emmi. Das natürlich gute Körpergefühl
ist schon wieder da und will zu Ende laufen, drum klick drauf und stop. Jetzt endlich die Nachrichten? Denkste, Endlosschlaufe. Klick oder kick drauf, immer Emmi und Emmi und Emmi dich wieder. Endlosschlaufe begleitet von deinem Gebrumm. Cum summa Gebrumm.
Seite neu laden? Seite neu laden. Neue Werbung natürlich, alles wieder von vorne. Einfach durchlaufen lassen jetzt, ganz entspannt. Du ersparst dir viel Ärger damit. Merk dir’s fürs Leben.
Emmi Cafe Latte. Cafe Latte Cafe Emmi Latte Cafe Latte. Emmi.
Dann endlich der grosse Moment: Blick TV! Klick TV!
Die Wetterprognose. Gestenreich und überkandidelt. Aus der Mimik des Moderators leuchtet die Sonne. Das verspricht er dann auch: Sonne pur! mit erhobenem Daumen und im Tonfall einer männlichen Trudi Gerster, nur mit anderem Dialekt. Er zwinkert mir sogar zu, als wollte er mich anmachen. Ja tatsächlich, macht und lacht mich an! Wo bin ich da nur gelandet?
In einer Schnellbleiche für verhinderte Clowns? Seine Arme beschwören den Herbst. Um ein bisschen Sonne und fallende Blätter ein pantomimisches Riesentamtam. Dann wechselt die Stimmlage abrupt ins Gehauchte und legt sich die Stirn in tiefe Falten: „Die Benzin- und Dieselpreise explodieren!“ Die Falten spielen Ziehharmonika. Die Energiepreise seien weltweit „am Steigen und am Steigen und am Steigen.“ Auch die Stimme steigt und steigt empor, behält aber ihre tiefdunkle Färbung, schauderhaft. Ein drohender Geist aus der Flasche ist nichts dagegen. Die Coronamassnahmen brächten die Energiepreise zum Explodieren. Zum Ex!-plo!!-dieeerenn!!!
Die stringente Logik von der Stimme doppelt und dreifach gebrochen.
Ich halte das Video an, schreibe was auf, klicke auf weiter. Wieder blendet sich eine Werbung ein, wieder geht ein neues Fenster auf, wieder müsste ich alles zu Ende hören, weil ich sonst Blick Tv nicht mehr reinbekomme. Trotzdem kürze ich ab und lade einfach die Seite neu. Auch diesmal klappt’s nicht, wie ich will, ich kriege erst eine andere Werbung, in stoischer Ruhe weidende Schafe, die haben viel Zeit. Dann endlich wieder die Sendung. Erdölpreis zum Zweiten. Der Erdölpreis sei so ho-ho-hoch wie seit 2011 nicht mehr. Ein Schock für die Schweizer Bevölkerung! Das geschockte Augenrollen des Moderators in Grossaufnahme. Schrille Dissonanz der Harmonikafalten. Ich haue vor Wut auf den Tisch. Das geht nun wirklich nicht, das man für etwas soviel bezahlt wie vor zehn Jahren! Wo lebe ich eigentlich! Und als spürte Blick TV meinen Schlag, ändert sich flugs auf dem Bildschirm die Szene:
Good day Emmi. Lactosefrei, weniger Fett, weniger Zucker
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Gut, man soll nicht alles persönlich nehmen und könnte sich einen Kaffee holen jetzt. Blick TV bietet immerhin die Chance, sich in Gelassenheit zu üben. Also schlurf ich an den Herd. Der Kaffee ist noch nicht am Kochen. Drum wieder zurück. Immer noch Endlosschlaufe mit Emmi, völlig koffeinfrei. Ich lade die ganze Seite neu, es hilft ja nichts. Reumütig lasse ich eine ganze Bio-Cashmeere-Werbung über mich ergehen, ohne mit dem Finger zu zucken.
Guten Morgen, Schweiz! erstrahlt die Stimme des Moderators. Hat er mich nicht schon einmal begrüsst? Bin ich in einer anderen Sendung? Jedenfalls steht jetzt eine Kollegin an der Seite des Moderators und hofft, indes er von der Seite her fröhlich weiterstrahlt, dass ich gut in den Tag gestartet bin. Charmant wie Morgenstund und Goldimmund. Und schon übernimmt wieder der Mann, im Tonfall eines Märchenonkels wieder, der zu Kleinkindern spricht, jöö tu-tu-tu-tu. Und ich merke, dass ich nach dem Neuladen doch einen andern Morgen auf Blick TV erwischt habe, denn jetzt regnet es. Es scheint bitter nötig, der Moderator ist begeistert wie eine Kichererbse und singt schon fast, jauchzt schon fast, jede einzelne Silbe betonend: Es regnet! Die Augen lukengross, bedeutungsschwer: Das ist wichtig für die Bauern. Für die Ba-ha-hauern! Und seine Kollegin schaut in Verzückung auf ihn, als hätte sie der heilige Geist geküsst. Sie imitiert seine windmühlehaften Gesten mit eigenen, kleineren, wendet sich damit immer wieder suggestiv zur Kamera hin: Liebe Kinder, gebt fein Acht, was euch der Onkel mitgebracht!
Der hebt nun seinen Arm wie vor der Philharmonie ein grosser Dirigent und beginnt zu zucken und fuchteln: „Es ist wirklich wichtig, dass alles mal durchgewaschen wird!“ Sogar seine Stimme fuchtelt und zuckt. Dann niest er aber wie ein mickriges Rumpelstilzchen, und die ganze Philharmonie ist dahin. Das müssten sie nochmal mit ihm üben.
Bald übernimmt wieder die Kollegin, mit perfekten Gesten der Hände und der Arme, die Pantomime der Hillary Clinton, alles auf den Punkt einstudiert.
Kaffee. An den Bildschirm zurück. Und verrückt: Präsident Biden hat zum ersten Mal vor dem Kongress eine Rede gehalten! Genau hundert Tage nach seiner Vereidigung!
Der Moderator in Hochform, seine Intonation klettert über anderthalb Oktaven zum e-ee-ersten Ma-ha-hal! die Tonleiter hinauf, sinkt dann in den tiefsten Keller herunter - geha-ha-haaal-ten. Malcanto, ma molto glissando. „Genau hundert Tage nach seiner Vereidigung!“ - diesmal eine ganze Salve von Tonleitern hinauf und herunter. Der Billige Jakob am Marktplatz ist glaubhafter.
Biden wird eingeblendet und spricht vor dem Kongress. 40 Verfügungen habe der Präsident bisher herausgegeben und fast ein Dutzend Gesetze unterschrieben und mehr als 60 Beschlüsse seines Vorgängers Trump „wieder umgekehrt“. Die 40 und das Dutzend kolorierte Spitzentöne, an der 60 bricht die Stimme und endet mit einem heiseren Gekrächze.
Undsoweiter. Kaum eine Meldung ist einer Meldung wert. Kann man sich einen Zuschauertrottel vorstellen, der das braucht? Die puppenhafte Kollegin macht unentwegt mit kleinerer Gestik die Gebärden ihres Zampanos mit. Mal ernst wie der Tod, mal funkelnd wie silberner Tau, mal durchtrieben und schlitzäugig-perfid. Ein Traumpaar die Zwei. Das Heimchen und der Zampano. Würde jedes für sich vor dem Spiegel üben, sie müssten sich schämen. Es kann nur ein zynischer Coach soviel Albernes in die beiden hineintrainiert haben.
Je nun. Ein Hoch auf die Freiheit der Presse! Und die Freiheit des Markts.
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