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Der Knopfdruck

Aktualisiert: 17. Juni 2021

Einer Grille war er verfallen, die er ungern zugegeben hätte, nämlich jeden Sonntag eine Viertelstunde Fussball zu schauen, die Zusammenfassung der Spiele aus der Landesmeisterschaft. Nicht als Fussballfan allerdings, das war es ja gerade. Er verachtete chauvinistische Veranstaltungen und hatte kein Interesse am Sport. Die Verrücktheit bestand darin, etwas Fragwürdiges aus einem verkehrten Grunde zu tun und einer Absurdität einen frischen Widersinn zu verleihen.


Für eine harmlose Kickerei unter Feierabendsportlern, bei der gelacht und gealbert wurde, hätte er geradestehen können. Da ging es ja nicht um Geld und Drill und Vaterland. Doch selten genug sah er solch unbekümmertes Treiben selbst auf dem Pausenplatz, an dem ihn sein Nachhauseweg vorbeiführte, und manchmal blieb er sogar eine Weile stehen und schaute zu. Wenn aber eine Verbissenheit überhandnahm, das Oben und Unten einer Hierarchie, gar ein Niedermachen des Gegners, was vorallem Jugendliche sich oft erlaubten, wandte er sich enttäuscht ab.


Die Sendung, die einzige, die er am Fernsehen noch verfolgte, fing viertel nach sechs ungefähr an, und es konnte dauern, bis Fussball an die Reihe kam. Er liess vorerst nur den Fernseher laufen und schaute garnicht hin. Die Lautstärke stellte er so ein, dass er die Ankündigung seiner Matches gerade noch hören konnte. Dann liess er alles stehen und liegen, drehte die Lautstärke auf und setzte sich gebannt vor den Bildschirm.


Neben ihm auf dem Knautschleder sass einträchtig sein Bruder und drückte für dieselbe Mannschaft den Daumen wie er. Bei jedem Tor ihrer Lieblinge brachen sie in Jubel aus, standen auf, hüpften herum und kriegten sich fast nicht mehr ein. Gegen einen Schiedsrichter, der es wagte, für die Falschen zu pfeifen, ballten sie aber die Fäuste und verdammten ihn in Grund und Boden. Die Mutter sass derweil am Stubentisch, rauchte Zigaretten und ergriff immer für die Anderen Partei. Gewannen ihre Mannen, geriet sie vor Freude ganz aus dem Häuschen, was sonst nie vorkam. Verloren sie, konnte man sie manchmal sogar fluchen hören.


Ja, so standen die Dinge, wenn er sonntagabends alleine zuhause war. Er brauchte nur zur rechten Zeit auf den Knopf zu drücken, und schon verwandelte er sich in sich selbst als in den halbwüchsigen Jungen von früher zurück. Und es geschah ihm dasselbe mit seinem jüngeren Bruder, der an die fünfzig ging, und mit ihrer verstorbenen Mutter, die leidenschaftlich wie ein Backfisch wirkte. Obschon er ganz alleine zuhause war.


Natürlich war er Küchenpsychologe genug, sein Verhalten mit einem recht unschönen Wort zu bestimmen. Gerade darum brauchte es die Welt ja nicht zu erfahren. Er hätte ihr freilich entgegengehalten, dass nun vieles von dem, was sie tat oder unterliess, einem andern als dem vorgeblichen Zweck diene. Dass sie sich zum Beispiel einen Kuckuck auf die Friedfertigkeit ihrer Religionen einbilde. Dass sich nicht einmal ihr Musikgeschmack aus musikalischen Gründen, noch die Zugehörigkeit zu einem politischen Lager aus politischen motiviere. Selbst ihr Liebesleben, dieses ihr unerschöpflichste unter allen Themen, fand er über keinen einzigen Zweifel erhaben.


Nein, da pfiff er sich doch ein Liedchen auf seinen kleinen Ausrutscher. Brachte denn sein Knopfdruck jemand in Gefahr? Er war ja nicht einmal Fussballfan. Und für ein Sofa war seine Wohnung sowieso zu klein. Schon gar für eins aus Knautschleder.


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